Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
blickte auf den Fluss hinaus. »Ihr könnt Euch sehr glücklich schätzen.«
Thomas sah sich die Petition mit ihren goldenen Verzierungen und der königlichen schwarzen Schrift an. So etwas gehörte ganz und gar nicht zum Tagesgeschäft. Es war ein Dokument, in dem der Papst aufgefordert wurde, »kraft Eurer Amtsgewalt öffentlich zu machen, was so viele Gelehrte bereits verkündet haben«, nämlich dass die Ehe von Heinrich und Katharine von Aragon rechtswidrig sei und deshalb annulliert werden müsse, damit der König frei sei, wieder zu heiraten. Dann folgten zwei Spalten mit Namen von Universitätsgelehrten und angesehenen Klerikern. Bei einigen Namen, wie dem von Thomas Cranmer, war er nicht überrascht, sie auf dieser Liste zu finden. Andere wie der von Bischof Stokesley ließen ihn einen Moment lang unsicher werden. Was hatte Vorrang? Seine Loyalität gegenüber der Krone oder gegenüber der Kirche? Aber für Thomas konnte es letztlich keinen Zweifel, keine Zugeständnisse geben. Er legte seine Feder auf den Tisch und schob das Dokument beiseite. Die spanische Königin zurückzuweisen bedeutete, auch das zurückzuweisen, wofür sie stand: nämlich ein katholisches England.
»Euer Majestät, ich muss Euch zu meinem großen Bedauern mitteilen, dass ich dies hier nicht guten Gewissens unterzeichnen kann.«
Heinrich starrte ihn unverwandt an. Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze, während sich die Muskeln in seinem Unterkiefer als feste kleine Knoten abzeichneten. Er sagte kein Wort. Im Baum über ihnen kreischte ein Eichelhäher, als ob er protestieren wollte – oder war es eine Warnung?
»Eurer Majestät ist mein Standpunkt in dieser Angelegenheit schon seit geraumer Zeit bekannt.«
Heinrichs Lächeln wirkte starr. Er nahm die Petition wieder an sich, rollte sie zusammen und schob sie in sein Wams.
»Wir würden Euch niemals bitten, gegen Euer Gewissen zu handeln, Master More. Ich dachte lediglich, dass Ihr Eurem König einen persönlichen Gefallen tun und diese Petition unterzeichnen würdet. Eure Unterschrift wäre eine von vielen, allesamt von gewissenhaften und ehrenhaften Männern, bei diesem letzten Versuch, den Papst umzustimmen.«
Letzter Versuch? Bedeutete das, dass er endlich aufgeben würde, wenn es ihm auch mit dieser Petition nicht gelang, seine Heiligkeit davon zu überzeugen, dass seine Ehe annulliert werden sollte?
»So ist es, Euer Majestät. Eine von vielen. Die Unterschrift eines Laien wird man nicht vermissen.«
»Laie oder nicht, es ist die Unterschrift des Kanzlers von England.« Heinrich schlug sich mit der flachen Hand aufs Knie, bevor er sich wieder so entspannt gab, als spiele es für ihn nicht die geringste Rolle, dass sein Kanzler ihm einen Herzenswunsch nicht erfüllen wollte. »Aber das ist sowieso nur eine Formalität. Wenn die Petition erfolglos bleibt, werde ich eben einen anderen Weg einschlagen müssen.«
Er hatte darauf verzichtet, seinen Kanzler einzuweihen, wie dieser Weg aussehen sollte. Thomas wusste es auch so. Diese Boleyn war umgeben von Ratgebern, die dem König giftige Worte einflüsterten und behaupteten, dass der Papst über einen gesalbten König keine Autorität besitze und England die Möglichkeit habe, mit Rom zu brechen.
Der König hatte sich sehr plötzlich von ihm verabschiedet. Seitdem hatte er mit Thomas kein einziges Wort mehr gesprochen. Aber wie auch immer, Thomas würde sich davon weder irritieren noch von seinem Ziel abbringen lassen. Heute hatten sie einen großen Fortschritt erzielt. Wenn sie diesen Schmugglerring zerschlagen und ein paar der Lieferanten verbrennen konnten, würde in der Welt die rechte Ordnung schon wiederhergestellt sein.
Thomas winkte seinen Bootsführer zu sich, der am Anlegeplatz von Westminster auf ihn wartete. Während er sich von ihm nach Chelsea rudern ließ, kam ihm das Päckchen in seinem Mantel wieder in den Sinn. Er zog es hervor und packte es unter dem aufmerksamen Blick seines Bootsführer aus.
»Ein Geschenk für Eure Gattin?«, fragte ihn Richard, sein Bootsführer.
»Nein, ein Geschenk von einer Frau, über deren Mann der Hof ein günstiges Urteil gesprochen hat.«
»Oh?« Richard wirkte überrascht.
»Ein gutes und gerechtes Urteil«, beantwortete Thomas die ungestellte Frage.
Es war eine silberne Vase von durchschnittlicher Qualität. Auf dem Markt würde sie ein paar Pfund einbringen. Er würde sie verkaufen und den Erlös dem Armenhaus spenden. Er packte die Vase wieder ein und schloss
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