Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
unterschiedlicher Herkunft gleichzeitig ein. Dies konnte dann eine echte Herausforderung werden, die sie in letzter Zeit jedoch vermisst hatte.
Als man Thomas zum Kanzler ernannt hatte, hatte sie sogleich feinere Tischwäsche, ein kunstvolles, vergoldetes Salzfässchen, geschnitzte Löffel und ein weiteres Tafelgeschirr aus Silber gekauft, in der freudigen Erwartung, in Zukunft viele königliche Gäste bewirten zu dürfen. Aber Sir Thomas hatte bislang nur sehr selten Höflinge nach Chelsea eingeladen. Auch der König war nur ein einziges Mal erschienen. Er hatte die ganze Zeit mit Thomas im Garten gesessen und war dann verärgert wieder gegangen, bevor sie das feine Salzfässchen auch nur hatte auspacken können.
In letzter Zeit war ihr Mann so mit seinen Schriften beschäftigt gewesen, dass er seine Mahlzeiten, wenn er überhaupt einmal etwas aß, in seinem Studierzimmer einnahm. Wenigstens würde er sich beim heutigen Essen zu seiner Familie gesellen, da sie einen Gast erwarteten, der für seine gelehrte Unterhaltung und für fröhliche Stimmung bekannt war. Und das war auch gut so. Sie hatte Thomas schon seit einiger Zeit nicht mehr scherzen gehört. Sein Humor und sein fein geschliffener Sarkasmus – den sie vermisste, obwohl er oft auf sie abzielte – waren ihm offensichtlich durch seine letzten Abhandlungen verloren gegangen.
Hin und wieder bewegte eine Brise vom Fluss her das Tischtuch und die Bänder ihrer Alltagshaube – es war zwecklos, sich für einen Franziskaner herauszuputzen. Die sommerliche Brise brachte den widerlichen Gestank der Themse mit sich. Sie überlegte einen Moment lang, ob der Franziskaner Fingerschälchen mit Lavendelwasser, in dem duftende Blüten schwammen, als übertriebenen Luxus empfand, und entschied dann, dass ihr das egal war. Jedenfalls würden die Schälchen den Geruch vom Fluss nach Seetang und toten Fischen in Schach halten.
Aber vielleicht kam dieser Geruch ja auch von dem Hering. Sie nahm den Teller hoch und roch daran. Nein, welche Gerüche der Hering auch verströmen mochte, sie wurden vom scharfen Aroma der Weinsülze, in die er eingelegt war, überlagert.
Sie stellte gerade die letzten Fingerschalen, die die beiden Küchenmädchen eilig herbeigeholt hatten, auf den Tisch, als sie ihren Mann und den Mönch auf sich zukommen sah.
»Alice, darf ich dir Richard Risby von den Franziskanerobservanten in Canterbury vorstellen. Er wird über Nacht bei uns bleiben.«
Alice neigte den Kopf.
»Seid willkommen zu unserem bescheidenen Mahl. In Kürze werden sich noch weitere Mitglieder unseres Haushalts zu uns gesellen.«
Der Klosterbruder nickte.
»Chelsea ist für seine Gastlichkeit bekannt, Lady Alice. Ich danke Euch.« Sein Blick wanderte rasch über das Essen auf dem Tisch. »Ah, Eierpudding mit französischem Zucker. Meine Lieblingsspeise«, rief er und rieb sich begeistert die Hände. »Im Refektorium streuen wir manchmal noch ein wenig gemahlenen Zimt darüber.«
Das Armutsgelübde der Franziskaner erstreckt sich offenbar nicht auf ihre Speisekammer, dachte Alice. Während sie noch nach einer geistreichen, aber keinesfalls beleidigenden Antwort suchte – sie war nicht so schlagfertig wie Thomas –, erschienen wie durch Zauberhand die anderen Mitglieder ihres Haushalts.
»Meine Tochter Margaret Roper«, sagte Thomas. Er breitete seine Arme aus, um mit dieser Geste auch die anderen Neuankömmlinge einzuschließen, die sich am anderen Ende der langen Tafel eingefunden hatten, und fügte hinzu: »Ihr Mann William, meine beiden anderen Töchter, mein Mündel und Alices Tochter.« Er machte sich nicht einmal die Mühe, sich mit ihren Namen aufzuhalten. »Kommt. Lasst uns essen, bevor die Gewitterwolken, die sich auf der anderen Seite des Flusses zusammenballen, zu uns herüberziehen. Margaret, setz du dich doch neben unseren Gast. Er ist sicher daran interessiert, wie gut sich meine Tochter in den klassischen Sprachen und der Heiligen Schrift auskennt.«
Sie nahmen ihre Plätze ein. Wenn der Haushalt der Mores eines war, dann diszipliniert und wohlgeordnet. Zu spät zum Essen zu kommen, wurde in keiner Weise toleriert. Thomas hatte das zweifellos von seinem Vater John More übernommen, den Alice nicht mochte. Sie gab ihm für die wenigen Charakterschwächen ihres Mannes die Schuld und wünschte sich oftmals inständig, dass Thomas ihm nicht so sehr nacheifern würde. Sie war froh, dass sie wenigstens heute seine Gesellschaft nicht ertragen musste. Auch wenn ihr
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