Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Schwiegervater seine Mahlzeiten meistens im Lincoln’s Inn einnahm, so kam er doch gern nach Chelsea, wenn sie einen bedeutenden Gast erwarteten. Ein einfacher Kleriker würde ihn jedoch bestimmt nicht interessieren.
Alice, die Margaret gegenübersaß, konnte hören, wie ihre Tochter mit ihrem Gast auf Latein plauderte, während Thomas mit sichtlichem Stolz lauschte. Sie war sich zwar nicht sicher, aber dem konzentrierten Ausdruck auf Risbys Gesicht nach zu urteilen, musste dieser sich gehörig anstrengen, um mit Margarets Gelehrsamkeit mitzuhalten.
»Vielleicht sollten wir uns auf Englisch unterhalten, damit die anderen auch etwas von unserem Gespräch haben«, sagte er schließlich. »Master More, man muss Euch für die überragende Bildung loben, die Ihr Euren Töchtern habt zukommen lassen, … auch wenn man sich fragt …«
Er verzichtete klugerweise darauf, das in Worte zu fassen, was ihm, wie Alice vermutete, schon auf der Zunge lag, nämlich dass eine klassische Bildung für Frauen reine Verschwendung sei. Eine Einstellung, die sie nachvollziehen konnte.
»Ich frage mich, ob auch nur die Hälfte der ordinierten Brüder so gut Latein können«, murmelte der Franziskaner, als er sich eine zweite Portion von der Eiercreme nahm.
»Ja, in der Tat.« Thomas lächelte und blinzelte Alice zu.
Dieses Augenzwinkern bedeutet ihr so viel wie jeder anderen Ehefrau ein Kuss.
»Welche Neuigkeiten habt Ihr für uns aus Canterbury mitgebracht, Bruder Risby?«, fragte Thomas, als der Truchsess die Servierplatte mit Lamm vor ihn hinstellte. Alice sah mit Erleichterung, dass er sich eine große Scheibe von dem Fleisch nahm. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass er sie auch aß.
»Es gibt Neuigkeiten von einer heiligen Jungfrau. Die ganze Gegend spricht bereits von ihren wunderbaren Visionen. Habt Ihr schon von ihr gehört?«, fragte der Franziskaner.
»Wenn Ihr die verrückte Nonne von Kent meint, dann habe ich tatsächlich schon einmal von ihr gehört.«
»Verrückt? Wieso sagt Ihr verrückt, Sir?« Der Mönch verharrte mit seinem Löffel mitten in der Luft. Alice sah mit Bestürzung, wie die Heringsoße auf ihr frisches Tischtuch tropfte.
»Elizabeth Barton? Ganz England spricht von den Visionen der Jungfrau«, sagte Margaret jetzt auf Englisch.
Alice versetzte ihrer Tochter einen Stoß in die Rippen, um sie an ihre Manieren zu erinnern. Sie mochte zwar Latein und Griechisch in Wort und Schrift beherrschen, aber sie wusste offenbar nicht, dass sich eine Dame nie in ein Gespräch unter Männern einmischen durfte. Nun, fast nie. Außer wenn es ein überzeugendes Argument war.
» Heilige Visionen, Mistress Roper«, antwortete Risby.
»Verrückte Visionen sagen manche«, korrigierte Thomas ihn gleichmütig. »Ein Knittelvers mit ihrer Prophezeiung ist bereits bis an das Ohr des Königs gedrungen – man vermutet, durch Master Cromwell –, in dem sie vorhersagt, dass ihm und seinem Königreich großes Unheil drohe, sollte er mit … sollte er mit bestimmten Dingen fortfahren. Der König hat mich um meine Meinung dazu gebeten.«
»Und was habt Ihr ihm gesagt?«
»Ich habe ihm gesagt, dass dies nichts weiter als das harmlose Geschwafel eines schlichten Geistes ist.«
»Eine Prophezeiung, die sich gegen den König richtet …«, sagte Margaret, »wäre das nicht Verrat?«
»Nun, das wäre es in der Tat. Es sei denn, natürlich, es ist der harmlose Erguss eines schlichten Verstandes, der verrückt geworden ist. Oder aber eines schlichten Verstandes, der von gewissenlosen Menschen manipuliert wurde.«
»William sagt …«
»Es interessiert mich nicht, was William sagt, Margaret. Dieses Gerede über Elizabeth Barton ist nichts anderes als dummes Gewäsch. Dir ist sehr wohl bekannt, dass es in diesem Haushalt nicht erlaubt ist, Tratsch und böse Gerüchte zu verbreiten. Wir werden also nicht mehr über diese Jungfrau von Kent und ihre … Visionen sprechen.«
Nach diesem Machtwort richtete er seinen Blick zunächst auf Margaret, bevor er ihn zu Alice und zu seinem Schwiegersohn Roper wandern ließ, der daraufhin prompt rot wurde und Margaret unter dem Tisch anstieß. Einen Moment lang tat er Alice leid. Ein Mitglied dieses Haushalts zu sein und nicht die Gunst von Sir Thomas zu genießen, war gewiss nicht leicht. Dass er Margaret diese Ehe gestattet hatte, zeugte jedoch davon, wie sehr Thomas seine Tochter liebte.
»Lasst uns jetzt über bekömmlichere Dinge sprechen. Da wir gerade bei Neuigkeiten aus Canterbury
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