Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
zufiele, Euer Majestät, und wenn weder der König und sein Reich noch dessen Erzbischöfe, Bischöfe, ja nicht einmal die bescheidensten Landpfarrer der Tyrannei Roms unterworfen wären.«
Das war eine wirklich atemberaubend kühne Vorstellung.
Selbst Philipp der Schöne von Frankreich hatte es nicht gewagt, so weit zu gehen, als er mit Papst Urban in Streit gelegen und statt seiner einen französischen Kardinal als Oberhaupt der Kirche in Frankreich eingesetzt hatte. Cromwell hatte Heinrich abgeraten, einen solchen historischen Präzedenzfall zu schaffen, und auf die möglichen verheerenden Folgen verwiesen. Die Christenheit hatte schon einmal zwei Päpste erdulden müssen – einen in Rom und einen in Avignon, und schließlich einen dritten, der über den anderen beiden stehen sollte.
»Nur ein Oberhaupt«, hatte er dem König geraten, »sowohl für die weltlichen als auch für die geistlichen Belange. Dann könnte der König sich auch die eigene Scheidung gestatten.« Das war die Saat, die Cromwell in Heinrichs Kopf ausgebracht und Cranmer sorgfältig gewässert hatte und die jetzt kurz davor war aufzugehen. Und das, obwohl Kanzler More so verbissen für die alte Ordnung kämpfte.
»Ihr habt recht, Master Cromwell. Die Empfehlungsschreiben zu sammeln ist nur ein Vorwand«, sagte der König und betrachtete gelangweilt seine Hände, rückte den Siegelring gerade, so als hätte das, was er gerade gesagt hatte, nicht die geringste Bedeutung für ihn. »Master Elyots wirklicher Auftrag lautet, William Tyndale und John Frith ausfindig zu machen. Ihr werdet ihm für diesen Auftrag geheime Anweisungen geben.«
Cromwell hielt inne, während er herauszufinden versuchte, was das bedeuten mochte. Er hatte geglaubt, der König wolle die römischen Prälaten mit seiner List in Sicherheit wiegen, damit sie dann völlig überrumpelt wären, wenn das Parlament Heinrich VIII ., König von England, zum Oberhaupt von Gottes heiliger Kirche in England erklärte.
»Ich verstehe nicht, Euer Majestät. Verzeiht mir, aber ich dachte, das wäre bereits geschehen. Stephen Vaughan hat sie doch bereits gefunden und Euch ihre Antwort übermittelt.«
Später sollte sich Cromwell an den Ausdruck auf Heinrichs Gesicht in diesem Augenblick erinnern, einen Ausdruck, dem er in der nächsten Jahren noch häufiger begegnen würde. Ein zorniges Aufblitzen, erschreckend und überraschend wie der Einschlag eines Blitzes an einem klaren Sommertag. Genauso unerwartet und genauso gefährlich.
»Gefunden und wieder verloren.« Er machte eine Handbewegung, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. »Vaughan hatte einen anderen Auftrag als Ihr. Master Tyndale und Master Frith haben die Gnade des Königs ausgeschlagen. Falls Ihr sie wieder ausfindig macht – wahrscheinlich verstecken sie sich noch immer irgendwo in Flandern –, werdet Ihr Sir Elyot dabei helfen, sie nach England zurückzubringen.« Dann fügte er hinzu: »Mit welchen Mitteln auch immer.«
»Darf ich fragen, Euer Majestät …«
»Damit sie wegen Ketzerei vor Gericht gestellt werden können.«
»Natürlich«, erwiderte Cromwell. Aber in Wahrheit verstand er überhaupt nichts. Er hatte immer angenommen, dass es vor allem Anne Boleyns Einfluss war, der den König dazu bewogen hatte, Tyndale und Frith seine Gnade und seine Gunst anzubieten. Aber sie hatten ihn offenbar so sehr in seiner Eitelkeit gekränkt, dass er seine Meinung ihnen gegenüber grundlegend geändert hatte. Warum aber verließ er sich nicht auf den Spion, den Thomas More und Bischof Stokesley entsandt hatten? Henry Phillips war ein bekanntes Schlitzohr. Wenn es jemand schaffte, die beiden aus dem Schutz des Englischen Hauses herauszulocken, dann er … konnte es tatsächlich sein, dass der König kein Vertrauen mehr zu Kanzler More hatte?
»Euer Majestät, Kanzler More hat in dieser Angelegenheit bereits einen Agenten entsandt, dies ist Euch sicherlich bekannt.«
»Kanzler More ist gerade mit anderen Dingen beschäftigt.«
Wenn More beim König gerade nicht gut angesehen ist, warum dann nicht noch ein wenig Öl ins Feuer gießen, dachte Cromwell, als er sagte:
»Mit anderen Dingen als mit der Sache des Königs?«
»Es könnte sein, dass Kanzler More, obwohl er kein Mann der Kirche ist, mehr in Papst Clemens’ Interesse als in dem seines Königs handelt. Ist Euch Euer Auftrag jetzt klar geworden?«
»Absolut klar. Ich soll Tyndale und Frith finden und sie unter Einsatz aller erforderlichen Mittel nach
Weitere Kostenlose Bücher