Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
weiter.
Die männlich geprägte Umgebung des Englischen Hauses, der Herberge für Kaufleute, war kein angemessenes Zuhause für einen Säugling, entschied Kate eines Tages, als die beiden Übersetzer gerade einen gutmütigen Streit austrugen. Das Kind brauchte ein richtiges Zuhause. Aber wie sollte sie das John sagen? Im Gegensatz zu ihr fühlte er sich im Englischen Haus sehr wohl. Aber er hatte schließlich auch in Cambridge und Oxford studiert. Die enge Gemeinschaft mit den anderen Studenten in ihrer Unterkunft hatte ihm gefallen. Tatsächlich fürchtete sie sogar, dass die Neuigkeit von ihrer Schwangerschaft John ungelegen kam. Im Laufe der letzten Monate schien er über ihre Kinderlosigkeit mehr erleichtert als besorgt gewesen zu sein. Wenn sie das Thema ansprach, erklärte er ihr jedes Mal, dass dies wohl der Wille Gottes sei. Nun, dann würde sie ihn jetzt daran erinnern, dass es doch Gottes Willen entsprach, dass sie schwanger war.
Im Mai schließlich war sie sich sicher, und sie beschloss, Säuglingskleidung zu nähen. Sie vertraute sich Mistress Poyntz an und bat sie, ihr geeignete Stoffe zu besorgen. Als Mistress Poyntz vom Markt zurückkam, rief sie Kate in ihr Zimmer und breitete das weiche Leinen für die Windeln auf dem Bett aus.
»Bei dem hier konnte ich einfach nicht widerstehen«, sagte Mistress Poyntz und fügte, als hätte sie Kates Gedanken gelesen, hinzu: »Nein, nein, Ihr müsst es nicht bezahlen. Das ist ein Geschenk.«
Kate befühlte ungläubig das winzige Häubchen aus Seide und Spitze. Sie war jetzt drei Monate schwanger, zwei Wochen länger als damals, als sie ihr erstes Kind verloren hatte. Diesmal also würde sie ein Kind bekommen. Tränen traten ihr in die Augen und liefen ihr über die Wangen. Sie schniefte und wischte sie weg.
»Ihr müsst es Eurem Mann sagen«, meinte Mistress Poyntz und ergriff ihre Hand.
»Ich weiß«, sagte Kate schniefend. »Ich wollte nur warten, bis …«
»Bis Ihr Euch ganz sicher seid, dass Ihr dieses Kind nicht auch verlieren werdet. Aber dessen könnt Ihr Euch niemals ganz sicher sein, meine Liebe, nicht bis Ihr das Kind in Euren Armen haltet und es wie ein hungriger kleiner Wolf an Eurer Brust saugt.«
»Ich werde es ihm sagen«, erwiderte Kate. »Wenn der richtige Moment gekommen ist.«
Jetzt ist es endgültig, dachte Sir Thomas, als er vom Parlament zur Anlegetreppe von Westminster hinunterging, um seinen Bootsführer zu rufen. Die Sitzung war beendet, und er hatte verloren. Cromwell und der König hatten auf ganzer Linie gesiegt. Das Parlament hatte Heinrich zum alleinigen Herrscher Englands gemacht und die Bischöfe all ihrer Macht beraubt – sogar das Recht, Ketzer verhaften zu lassen, war ihnen genommen worden. Auch dies lag nun in den Händen des Königs. Wenn Kanzler More jemanden wegen Ketzerei verhaften lassen wollte, musste er sich an Cromwell und nicht an Bischof Stokesley wenden. Hah! Er wusste, dass dies in jedem Fall ein vergebliches Unterfangen war.
Man würde eine Kommission bilden, die zu einer Hälfte aus Laien und zur anderen Hälfte aus Klerikern bestehen sollte. Diese Kommission sollte über alle kirchlichen Angelegenheiten, selbst im Falle von Häresie, entscheiden. Angesichts Cromwells lutherischer Einstellung und dieser Boleyn, die den König zur Milde drängte, bestand kaum die Aussicht, dass die erst kürzlich errungenen Fortschritte gewahrt bleiben konnten. Thomas Mores Kampagne zum Schutz der einzig wahren Kirche war gescheitert.
Er hatte alles riskiert, als er für die Bischöfe gesprochen hatte, die zu feige gewesen waren, selbst für ihre Sache einzutreten, und sich damit offen gegen Heinrich gestellt. Er hatte sich das Wohlwollen des Königs bereits verscherzt, als er sich standhaft geweigert hatte, dessen Scheidungsantrag zu unterstützen. Mit seiner fehlgeschlagenen parlamentarischen Kampagne zur Erhaltung der Macht und der Privilegien der Bischöfe hatte er nun sogar den Zorn des Königs erregt. Aber so sei es. Thomas More war der Sache treu geblieben, und das zählte für ihn mehr als alles andere. Seine Ehre würde nicht durch den Ruch der Feigheit befleckt werden. Die Konsequenzen waren ihm egal.
Er musste den Bootsführer zweimal ansprechen. »Richard!« Das zweite Mal in scharfem Ton, er versetzte ihm mit einem zusammengerollten Schriftstück einen Schlag auf die Schulter.
Der Bootsführer sprang von der Bank neben der Treppe auf, auf der er geschlafen hatte.
»Ich bitte um Verzeihung, Mylord. Ich
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