Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
haben«, sagte Thomas.
»Ah. Dachte ich mir doch, dass ich den Namen schon einmal gehört habe.«
»Das solltet Ihr auch. Er verfasst nämlich eine Abhandlung gegen die Doktrin des Fegefeuers nach der anderen.« Thomas registrierte mit Genugtuung, dass Stokesley vor Verlegenheit rot wurde. Er stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Sein Verstand arbeitete angestrengt. »Diesmal müssen wir seiner habhaft werden. Damit werden wir nicht nur den gotteslästerlichen Lügen ein Ende bereiten, die sich aus seiner Feder ergießen wie das Gift aus dem Zahn einer Viper, er wird uns auch direkt zu Tyndale führen. Wir könnten die beiden verbrennen, Rücken an Rücken. Der Rauch des brennenden Fettes, das von einem reichen Opfer zeugt, würde die Straßen des Paradieses mit Wohlgeruch erfüllen.«
Stokesley nahm den Briefbeschwerer in die Hand und betrachtete ihn nachdenklich. Die Fliege hatte die Flügel ausgestreckt, so als hätte sie vorgehabt, sich nur kurz auf dem Harz niederzulassen, um sich an dem süßen Saft zu laben. Und war dann für alle Ewigkeit gefangen. Er legte den Briefbeschwerer wieder auf den Tisch zurück.
»Was wir brauchen, ist eine Falle«, sagte er.
»Diese Falle ist bereits aufgestellt, Euer Exzellenz.« More tippte auf die mit einem X gekennzeichneten Stellen auf der Karte. »Hier, hier und hier. Wir müssen sie nur noch mit einem Köder versehen. Früher oder später wird John Frith in eine hineintappen.«
»Und wenn er es tut, was dann? Nach dem Gesetz, das das Parlament gerade erst verabschiedet hat, untersteht er allein der Jurisdiktion des Königs.«
»Daran braucht Ihr mich nicht zu erinnern«, fuhr Thomas ihn barsch an. »Es ist richtig, Ihr könnt ihn nicht verhaften lassen. Aber wenn ich auch als Kanzler zurückgetreten bin, so besitze ich, jedenfalls solange bis ein neuer Kanzler ernannt wird, noch immer gewisse Machtbefugnisse. Ich kann ihn durchaus noch im Namen des Königs verhaften lassen.«
»Aber wie sollen wir seiner habhaft werden, wenn wir nicht einmal wissen, wie er aussieht? Seid Ihr ihm jemals begegnet?«
»Wir wissen sehr wohl, wie er aussieht.« Thomas suchte in den Unterlagen, die sich auf seinem Schreitisch stapelten, und zog schließlich ein einzelnes Blatt heraus. Es war eine von einem Künstler angefertigte Skizze. Sie zeigte einen jungen Mann mit dunklen, welligen Haaren, gerader Nase und kräftigen, geschwungenen Brauen über weit auseinanderstehenden Augen, die vor Intelligenz leuchteten. Genau so hatte George Constantine ihn Hans Holbein beschrieben.
»Wir werden diese Skizze unter all unseren Spionen herumgehen lassen, die die ketzerischen Gemeinden in Oxfordshire und Berkshire infiltriert haben, und sie anweisen, jeden Verdächtigen nach seiner Meinung in Bezug auf das Fegefeuer und die Eucharistie zu fragen. Wenn Frith uns ins Netz gegangen ist, werden wir genügend Beweise gegen ihn gesammelt haben, sodass nicht einmal der König etwas gegen seine Verhaftung einwenden wird.«
Thomas rollte die Karte zusammen, um sie Stokesley zurückzugeben, als es an der Tür klopfte. Er drückte Stokesley die Karte in die Hand und ging zur Tür.
»Sir Thomas, da ist ein Franziskaner namens Richard Risby, der Euch sprechen will.«
»Schick ihn weg. Sag ihm, dass ich ihn nicht sehen will und dass er auch nicht wieder herkommen soll«, sagte Thomas leise.
Der Bischof blickte von den gerahmten Miniaturporträts auf, die er in der Zwischenzeit bewundert hatte.
»Das ist Euer Freund Erasmus, nicht wahr?«
»Richtig. Kennt Ihr ihn?«
»Nein, aber ich weiß, was er geschrieben hat«, sagte der Bischof, sichtlich stolz, wenigstens dieses kleine Stück Gelehrsamkeit offenbaren zu können. »Wer ist das auf dem anderen Porträt?«
»Peter Gillis, auch ein enger Freund aus Flandern. Er hat mir die Porträts als Andenken an meinen letzten Besuch in Antwerpen geschenkt.«
»Holbein?«
Dass der Bischof jetzt plötzlich so tat, als kenne er die schönen Künste, empfand Thomas einfach nur als widerlich.
»Nein. Ein Antwerpener Künstler von gewissem Ruf. Sein Name ist Quentin Massys.«
»Oh.« Offensichtlich hatte der Bischof noch nie von ihm gehört und schien bereits das Interesse zu verlieren.
»Massys ist inzwischen verstorben«, fügte Thomas hinzu. Er versuchte die Unterhaltung in die Länge zu ziehen, damit Stokesley nicht auf die Idee kam nachzufragen, was es mit der Unterbrechung eben auf sich hatte. An Türen zu lauschen war nämlich das, was der
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