Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
von der Landkarte auf, die ihm Bischof Stokesley persönlich in sein Studierzimmer in Chelsea gebracht hatte und auf der eine Vielzahl von aufrührerischen »Gemeinden« verzeichnet war.
»Ich wusste, dass ihre Zahl zunimmt, aber ich wusste nicht, dass es schon so viele sind«, sagte Thomas mit unüberhörbarem Abscheu in der Stimme.
»Und das ist wahrscheinlich nur die Hälfte. Tyndales Bücher haben der heiligen Mutter Kirche im Lauf der letzten sieben Jahre großen Schaden zugefügt. Hätte Cuthbert doch nur entschiedener durchgegriffen und ihn nicht entkommen lassen. Mein Vorgänger neigte sehr dazu, Feinde nur mit Worten und nicht mit Taten zu bekämpfen.«
Thomas nahm den Briefbeschwerer von seinem Schreibtisch und fixierte damit eine Ecke der Karte. Bischof Tunstall hatte ihm diesen Briefbeschwerer geschenkt, nachdem er seine erste gegen Tyndale gerichtete Streitschrift verfasst hatte: ein großes Stück Bernstein, in dem eine Fliege gefangen war. »Unterschätzt niemals den Wert von Worten, Exzellenz«, sagte Thomas ärgerlich. Er hatte das Gefühl, dem Bischof ins Gedächtnis rufen zu müssen, wie viel ihn seine eigenen Worte vor dem Parlament gekostet hatten.
Der scharf geschnittene Unterkiefer des Bischofs erinnerte Thomas an die Klinge eines Dolches. Der Mann besaß eine Entschlossenheit, die seinen körperlichen Gegebenheiten durchaus entsprach. Obwohl Stokesley vor dem Parlament kürzlich geschwiegen hatte, besaß Thomas mit ihm, im Vergleich zu Bischof Tunstall, einen stärkeren Verbündeten. Aber er vermisste die gegenseitige Verbundenheit und Vertrautheit der früheren Allianz.
»Cuthbert hat es gut gemeint«, sagte Thomas. »Ihm fehlte es einfach nur an Konsequenz. Er glaubte, der Feind ließe sich allein mit Worten und Argumenten im Zaum halten.« Er zeigte auf den Stapel Manuskripte, mit dem er die andere Ecke der Karte fixiert hatte. »Aber Ihr habt recht, Exzellenz. Wenn Worte allein etwas bewirken könnten, dann wäre Tyndales übler Feder bereits Einhalt geboten worden. Ich habe auf jedes ketzerische Argument geantwortet, und dennoch kommen die gotteslästerlichen Bücher und die englischen Bibeln weiterhin auf die Insel. Und allen haftet der Kloakengestank Antwerpens an.«
Stokesley schlug zornig mit der Faust auf die Karte.
»Wir müssen sie aufhalten! Sonst wird es in England schon bald nicht mehr genügend Eichen geben, um daraus die Pfähle für ihre Scheiterhaufen zu machen. Aber es wird jetzt um einiges schwieriger werden sie aufzuhalten, da wir die Unterstützung des Parlaments verloren haben.«
Thomas konnte einer letzten spitzen Bemerkung nicht widerstehen.
»Ich habe es weiß Gott versucht. Ich habe deshalb sogar mein Amt als Kanzler verloren.« Während du geschwiegen hast . Die Worte standen unausgesprochen zwischen ihnen.
Stokesley antwortete rasch:
»Niemand hätte mehr tun können als Ihr. Ihr habt mit großer Beredsamkeit argumentiert. Aber Ihr könnt sicher sein, dass die Ketzer von der jüngsten Entwicklung wissen. Ihre Überheblichkeit ist größer denn je. Einer von ihnen war sogar so kühn und anmaßend, heimlich nach England zurückzukehren.«
Thomas spitzte die Ohren.
»Kennt man ihn? Wer ist es?«
Der Bischof lächelte, sichtlich erfreut darüber, ihm diese Neuigkeit, die seine Spione herausgefunden hatten, präsentieren zu können.
»Es soll einer von William Tyndales engsten Vertrauten sein, auch wenn mir persönlich sein Name bisher nicht bekannt war. Er wurde in Reading wegen Landstreicherei verhaftet.« Er zeigte auf die ausgebreitete Landkarte, wo die Abtei von Reading mit einem größeren X markiert war als der Rest. »Der dortige Richter hat ihn jedoch leider auf freien Fuß gesetzt, nachdem der Schulmeister ihn als einen ehemaligen Studenten aus Cambridge identifiziert hatte.«
Thomas’ Puls ging schneller.
»War sein Name vielleicht John Frith?«
»Ich glaube schon. Dann kennt Ihr ihn also?«
Und das solltest du auch, mein ungebildeter Freund , dachte More. Ein weiterer Unterschied zwischen Stokesley und dessen Vorgänger. Tunstall hatte als gebildeter Mann die neue Gelehrsamkeit in den klassischen Studienfächern unterstützt. Deshalb war Tyndale wegen einer Übersetzung der Bibel ins Englische auf ihn zugekommen. Der neue Bischof von London behauptete von sich zu Recht, ein Mann der Tat und nicht der Worte zu sein.
»Er ist einer der jungen Gelehrten, die der Häresie anheimgefallen sind und deshalb im Fischkeller in Oxford eingesessen
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