Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
neugierige Bischof am besten konnte. »Massys Werke werden wahrscheinlich noch an Wert gewinnen, wenn sein Name nicht durch die ketzerischen Verbindungen seiner Schwester befleckt wird. Sie hat in Leuven einen Bibelkreis gegründet.«
Nun, das sollte ihn ablenken. Jetzt ging es wieder um Ketzerei.
Stokesley legte die Miniaturen zurück und sah Thomas an, während er ganz leicht die Augenlider senkte.
»Der Mann an der Tür …«
»Das war nur mein Diener. Luthers Einfluss im Heiligen Römischen Reich ist inzwischen verderblicher als …«
»Nein. Ich meine den Franziskaner namens Risby, von dem er sprach. Ist das nicht der Mönch, der mit der Jungfrau von Kent in Verbindung steht? Der Nonne, die dem König Schlimmes prophezeit hat, wenn er sich scheiden ließe?«
»Das ist richtig.«
Stokesley nahm den Brocken Bernstein in die Hand, schien ihn noch einmal genau zu studieren, während er darauf wartete, dass Thomas seine Antwort näher ausführte, was dieser jedoch nicht tat. Der Bischof war allerdings kein Mensch, der allzu schnell aufgab, wenn er an einer Information interessiert war.
»Was denkt Ihr über ihre Prophezeiungen?«, fragte er.
»Ich denke, sie ist eher verrückt als weitblickend.«
»Habt Ihr schon einmal mit ihr gesprochen?«
Das war genau die Frage, die Thomas gefürchtet hatte. Er hasste es, selbst seinen Freunden – heute waren es Freunde, morgen vielleicht Feinde – etwas in die Hand zu geben, das sie irgendwann gegen ihn verwenden konnten.
»Ein einziges Mal. In meiner Eigenschaft als Kanzler.«
»Was will dieser Risby von Euch?«
»Er will, dass ich noch einmal mit ihr spreche.«
»Werdet Ihr es tun?«
»Nein, das werde ich nicht. Sie hat den Tod des Königs prophezeit. Das ist Verrat. Und Verrat zieht eine härtere Strafe nach sich, als vor dem Parlament die Politik des Königs zu kritisieren.«
Der Bischof, der darauf keine Antwort hatte, sammelte hastig seine Karten ein und verließ More mit dem Versprechen, John Frith ausfindig zu machen.
34
An einem Tag läuft ein Mann weg, an einem anderen kämpft er wieder.
Erasmus, »Apophtegmata«, 1542.
J ohn Frith ließ seinen Blick über die kleine Lollardengemeinde schweifen, die sich in dem Bauernhaus in Essex, in der Nähe von Chelmsford, versammelt hatte. Er hatte viele Meilen zu Fuß zurückgelegt und zwei Tage nicht geschlafen, aber die Aufmerksamkeit, die man seinen Predigten schenkte, gab ihm neue Energie. Bei seiner Ankunft hatten ihm die Gemeindemitglieder zugejubelt und ihre englischen Evangelien durch die Luft geschwenkt.
»Ich kann es gar nicht erwarten, dem Übersetzer von euch zu erzählen«, sagte er. »Euer Glaube wird ihn sehr ermutigen. Ich wünschte, er wäre hier, um es mit eigenen Augen zu sehen.«
Egal wo er in den letzten Wochen auch gepredigt hatte, von Reading bis nach East Essex, es war stets nach demselben Muster abgelaufen. Er nannte nie seinen wirklichen Namen und sagte, sein Name sei Jacob, und er sei ein Freund der Bibelmänner auf der anderen Seite des Kanals. Er akzeptierte nur eine warme Decke oder ein Bett für die Nacht, da es jetzt im Oktober selbst bei Tage schon frostig war. Manchmal nahm er auch eine kleine Wegzehrung an. Die vielen freundlichen Seelen, die finanzielle Unterstützung anboten, bat er, das Geld, das sie erübrigen konnten, den Vorstehern ihrer Gemeinden zu geben. Diese wiederum leiteten es an die Hanse im Steelyard zu Händen von Sir Humphrey Monmouth weiter oder stellten es, wenn sie in die Nähe von Reading kamen, dem Prior der dortigen Abtei zur Verfügung.
Er ermahnte sie jedoch immer wieder zur Vorsicht.
»Diese Vereinbarung schützt sowohl euch als auch mich«, sagte er, »euer Beitrag ist anonym, und, falls man mich ergreift, wird nichts auf euch hinweisen.«
Jetzt, nur wenige Meilen von der Küste entfernt, war er zuversichtlich, nicht mehr verhaftet zu werden, obwohl ihm bewusst war, dass er auch weiterhin sehr vorsichtig sein musste. Dennoch fiel es ihm zunehmend schwerer, sich nicht ablenken zu lassen, wenn er sich nach seiner Kate sehnte und sie in seinen Armen halten wollte – falls er sie mit den Armen überhaupt noch umfassen konnte. Sie war jetzt im siebten Monat. Wenn er zur Geburt ihres ersten Kindes nicht bei ihr war, würde sie ihm das gewiss niemals verzeihen – und er sich selbst auch nicht.
Ein Bote des Steelyard hatte ihm, als er sich in St. Albans aufgehalten hatte, einen Brief von ihr übergeben. Er hatte ihn inzwischen so oft gelesen,
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