Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
und weniger in Eile gewesen, hätte er den großen Mann bemerkt, der in der Ecke gesessen und ihn aufmerksam beobachtet hatte. Es wäre ihm auch aufgefallen, dass der Mann, als er die Schenke verließ, aufstand und ihm folgte. Er hätte gesehen, dass er einem zweiten Mann im Gewand eines Freisassen vielsagend zunickte, der sich in einem Torweg auf der anderen Straßenseite herumdrückte. Während John zufrieden seine Pastete aß, entging seiner Aufmerksamkeit auch, dass sich an der Kreuzung, wo sich die Straße zum Kai hin öffnete, sich ein dritter Mann zu den beiden anderen gesellte.
John ließ seinen Blick über die Schiffe schweifen, die vor Anker lagen. Er entdeckte eines, das unter der Flagge der Hanse fuhr. Dort würde er sich als Erstes nach einer Überfahrt erkundigen. Am Kai hatte sich eine Traube von Menschen gebildet, die erwartungsvoll zu einem großen Schiff hinausstarrten, das in der Ferne zu sehen war.
»Seht nur, das dort ist das Schiff Seiner Majestät«, rief jemand. »Da segelt es dahin. Ich möchte wetten, dass es noch mehr von unserem Geld nach Frankreich bringt«, sagte ein anderer. »Wahrscheinlich ist die Hure Nan Bullen auch an Bord.«
Während er sich eine Hand vor die Augen hielt und mit der anderen das letzte Stück Pastete in den Mund schob, sah John zu dem prächtigen Schiff hinüber, an dessen Mast die Flagge der Tudors flatterte. Wenn er doch nur auf diesem Schiff wäre, dann könnte er dem König seine Bitte persönlich vortragen, ohne sich zuvor Höflingen offenbaren zu müssen, die seinen Feinden in die Hände spielten. Er sah sich suchend nach einem kleinen Boot um, mit dem er hinterherfahren könnte. Vielleicht würde den König ein so kühnes Verhalten belustigen, und falls Anne Boleyn mit an Bord war, war er vielleicht sogar geneigt, ihn anzuhören. Es war riskant. Das Schiff war mit Kanonen bestückt. Der Kapitän könnte den Befehl zum Feuern geben und das kleine Boot versenken. Aber wenn er nahe genug herankommen könnte, würde es ihm mit seiner Beredsamkeit gewiss gelingen, dass man ihn an Bord ließ.
»Master Frith?«
Verblüfft, dass jemand in solch einer Menschenansammlung seinen wirklichen Namen rief, zögerte er einen kleinen Moment zu lange, bevor er sich in die Menge schob, um dort unterzutauchen.
»John Frith! Halt. Wir müssen mit Euch reden.«
Er rannte los, weg von den Docks, aber schon nach ein paar Schritten wurde er von drei stämmigen Männern umringt.
»Bleibt mir vom Leib, sonst melde ich euch der Hafenwache.«
Er hatte keine Ahnung, ob es so etwas wie eine Hafenwache überhaupt gab, aber es war das Erste, was ihm in den Sinn kam.
»Ihr müsst mit uns kommen.«
John versuchte so viel Empörung aufzubringen, wie es seine Erschöpfung zuließ.
»Wer hat das angeordnet?«
»Der Bischof von London.«
Seine Erschöpfung war mit einen Schlag verschwunden, und die pure Angst belebte ihn mit neuer Energie. Auch sein Verstand erwachte.
»Der Bischof von London hat nicht die Befugnis, irgendjemanden verhaften zu lassen. Diese hat allein der König.«
»Nun, wie Ihr seht, ist der König nicht hier, Master Frith«, sagte einer von ihnen lachend und zeigte auf das Schiff. »Er ist viel zu beschäftigt, um sich mit Leuten wie Euch abzugeben.«
Die Männer rückten näher, einer von ihnen drehte John den Arm auf den Rücken. Die Spitze eines Dolches ragte aus der dicken Serge seines Wamses hervor.
»Ich sage Euch, dass der Bischof kein Recht dazu hat. Das Parlament hat ein Gesetz verabschiedet …«
»Sagt das dem Bischof selbst«, knurrte der eine und stieß John vorwärts.
Sie waren ihm körperlich weit überlegen. Selbst wenn es ihm gelang, sich loszureißen, würde er ihnen nicht entkommen. Einem Zollbeamten war das Geschehen nicht entgangen, er war jedoch offensichtlich der Meinung, dass er in diesem Fall nicht zuständig war.
»Ich werde entführt!«, schrie John in Richtung des Zollbeamten. »Gebt Master Cromwell in Whitehall Bescheid. Sagt ihm, dass John Frith unrechtmäßig verhaftet wird. Ich vertraue mich der Gnade des Königs an und verlange eine rechtmäßige Behandlung.«
Das rief er immer wieder und so laut, dass jede mitleidige Seele, die es hörte, die Nachricht überbringen konnte, selbst wenn der Zollbeamte beschloss, nichts zu unternehmen. Plötzlich spürte er einen so heftigen Ruck an seinem Arm, dass der Schmerz bis hinauf in sein Handgelenk schoss. Einer der Männer hielt ihm den Mund zu.
»Schweigt, sonst breche ich Euch
Weitere Kostenlose Bücher