Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
auf den breiten Vorbau und klopfte an die Tür.
Sir Thomas schenkte seinem Besucher ein Glas französischen Wein ein. Diesen Luxus gönnte er sich in letzter Zeit nur noch selten. Aber heute gab es endlich etwas zu feiern. Bischof Stokesley nahm das ihm angebotene Glas und trank mit weniger Anerkennung, als Thomas sich das gewünscht hätte. Selbst Wolsey, der Sohn eines Fleischers, hatte einen guten Wein zu schätzen gewusst.
»Dann hat es also keine Fortschritte gegeben?«, fragte Sir Thomas.
»Nein. Bischof Gardiner, sein ehemaliger Tutor, hat noch einmal versucht, mit ihm zu reden. Aber Frith hat immer nur den dreiundzwanzigsten Psalm zitiert – auf Hebräisch, wohlgemerkt, und dabei ins Leere gestarrt. Er ist wahnsinnig geworden.«
Thomas war es nie gelungen, Hebräisch zu lernen. Warum sich damit abgeben? Aber er hegte eine widerwillige Bewunderung für einen solch brillanten Intellekt.
»Wirklich schade um diesen feinen Geist. Aber Frith hätte seinen Geist in den Dienst seiner Kirche stellen sollen. Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten. Wie sollte ein Wahnsinniger imstande sein zu bereuen?« Er nippte an seinem Wein, genoss den Geschmack. In der Gunst des Königs zu stehen, hatte ihm doch viele Vorteile beschert – von denen er einige bereits vermisste. »Ich nehme an, dass es nicht gelungen ist, ihm Informationen über Tyndale zu entlocken.«
»Das spielt keine Rolle«, sagte Stokesley. »Henry Phillips hat ihn in Antwerpen, wo wir ihn vermutet hatten, ausfindig gemacht. Er hält sich in einem Haus der Hanse für englische Kaufleute versteckt. Phillips wurde angewiesen, sein Vertrauen zu gewinnen und ihn aus der Reserve zu locken. Der Kerl ist ein widerwärtiger Halunke, aber für Geld wickelt er selbst den Teufel um den Finger.« Stokesley schloss die Augen. Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das ihm das Aussehen eines Totenschädels verlieh. »Das alles ist nur eine Frage der Zeit. Wir müssen nur noch etwas Geduld haben.«
Aber Thomas hatte langsam keine Geduld mehr. Außerdem durfte man Phillips nicht mit einer derart wichtigen Aufgabe betrauen. Der Nachteil war, dass er, Sir Thomas, sich mit so vielen zwielichtigen Gestalten abgeben musste. Aber es war schwer, einen ehrenwerten Mann zu finden, der sich zugleich als Spion eignete. Stephen Vaughan war der beste Beweis dafür.
Die Geräusche eines wilden Durcheinanders in der Eingangshalle rissen ihn aus seinen Gedanken. Kurz darauf klopfte Barnabas an die Tür des Studierzimmers.
»Da ist eine junge Frau, Sir Thomas. Sie verlangt Euch zu sprechen.«
»Schick sie fort. Nein, warte. Schick sie in die Küche. Die Köchin soll ihr zuerst etwas zu essen geben. Wahrscheinlich ist sie eine Bettlerin oder jemand, der Rat in rechtlichen Angelegenheiten sucht.« Dann wandte er sich wieder Stokesley zu. »Jetzt, da ich bei Hofe nicht mehr angesehen bin, kommen auch weniger Bittsteller an meine Tür. Nun, ich kann nicht sagen, dass ich sie vermisse.«
Stokesley wartete, bis Barnabas die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte.
»Friths Hinrichtung ist für morgen angesetzt. Smithfield. Werdet Ihr kommen?«
»Nein, ich glaube nicht. Meine Anwesenheit würde dem Ganzen zu viel Gewicht verleihen. Ich schlage vor, dass auch Ihr der Hinrichtung fernbleibt. Die Menschen sollen ihn als gewöhnlichen Verbrecher, nicht als Märtyrer in Erinnerung behalten. Unter der Bevölkerung regt sich bereits Unruhe. In den vergangenen zwei Wochen hat es allein in London vierzehn Selbstmorde gegeben, und es wurde von bösen Omen berichtet. Von Kometen am Himmel und einem blauen Kreuz über dem Mond. Das alles macht den Menschen Angst.«
Stokesley nickte zustimmend.
»Übrigens hat Holt auch noch gegen einen Lehrling ausgesagt. Wir werden ihn zusammen mit Frith verbrennen. Die Menschen sollen sich vor realen Dingen, wie zum Beispiel vor der Seuche der Ketzerei und vor der gerechten Strafe der Kirche, fürchten.« Er leerte sein Glas so schnell, als wäre es minderwertiges Ale, und erhob sich zum Gehen.
Sir Thomas runzelte die Stirn.
»Ihr könnt gern über Nacht bleiben. Alice wird Euch ein Bett richten lassen. Ich bin nicht so verarmt, dass ich meinem Bischof die Gastfreundschaft versagen müsste.«
»Die Nacht ist warm, und der Vollmond steht hell über dem Fluss. Ich habe morgen in aller Frühe in London zu tun, aber ich danke Euch. Ich werde Euch über Phillips’ Vorankommen in Bezug auf Tyndale auf dem Laufenden halten. Die Kirche ist
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