Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Hoffnung liegt in Jesus Christus. Bete in seinem Namen zu deinem Vater im Himmel, und er wird deine Qual lindern und verkürzen. Das hatte Tyndale in seinem letzten Brief geschrieben. Und John versuchte seine Worte zu befolgen, obwohl er nicht niederknien, ja nicht einmal den Kopf neigen konnte. Konnte Gott das Gebet eines Mannes an diesem höllischen Ort, der Grund für so viele Gebete war, an dem so viele Seelen nach ihm riefen, überhaupt hören? Ihre Gebete, eine einzige Kakophonie der Verzweiflung, vermischten sich mit seinem Schmerz und wirbelten in seinem Kopf herum.
Man hatte ihn unmittelbar nach dem Prozess hierhergebracht. Stokesley hatte ihn als Ketzer verhöhnt, hatte ihm großzügig Rettung in Aussicht gestellt, wenn er widerrief. Thomas More war ebenfalls anwesend gewesen, hatte gelacht und sich an seinem Widerstand ergötzt. »Ich habe gehört, dass Ihr, so wie alle Ketzer, die die heilige Mutter Kirche verlassen haben, geheiratet habt, Master Frith. Ist Eure Frau schön? Wird sie in Smithfield sein, um Euch brennen zu sehen, oder habt Ihr sie in Antwerpen zurückgelassen? Ist sie bei Tyndale? Sagt uns, wo sich der Ketzer Tyndale aufhält, dann dürft Ihr zu ihr zurück.«
Ihr Spott hatte ihn jedoch nur umso entschlossener gemacht. Das Merkwürdige aber war, dass sie ein perverses Vergnügen daran empfanden, so als wollten sie im Grunde gar nicht, dass er widerrief. Er konnte die Begeisterung in ihren Gesichtern sehen, und er bemitleidete sie fast wegen ihrer teuflischen Obsession. Ihre Seelen befanden sich in größerer Gefahr als seine. Das Feuer mochte seinen Körper verbrennen, aber bei ihnen wurde die Seele von den Flammen ihres Hasses verzehrt.
Die geistigen Übungen, mit denen er seinen Geist im Fischkeller und im Tower befreit hatte, funktionierten nicht mehr. Es wollte ihm nicht mehr gelingen, griechische Verse zu zitieren. Der Schmerz hatte die Schlacht um seinen Geist endgültig gewonnen, aber er betete um Kraft und für seine Frau, die er zurückließ. Er betete auch um ein Zeichen, das ihm sagte, dass Gott seine Entscheidung billigte.
Aber es sprach keine Stimme aus dem Himmel zu ihm. Die Türen des Newgate-Gefängnisses öffneten sich nicht.
Nach einer Weile fiel er in einen tiefen und traumlosen Schlaf. Er wertete dies als das Zeichen, um das er gebeten hatte, denn als er aufwachte, war er ruhiger. Kate, Tyndale und selbst seine Bücher schienen weit weg, fast so, als gehörten sie zum Leben eines anderen Mannes. John Frith hatte keine Frau mehr. Keine Freunde. Keine Zukunft. Er hatte sich damit abgefunden und war bereit für den Tod. Er musste nur noch den höchst schmerzhaften Prozess überstehen, wenn er dieser Welt entrissen wurde. Er betete darum, dass es schnell gehen würde.
Steh auf, Kate. Es liegt an dir. Du musst ihn finden, bevor es zu spät ist. Kate befreite sich mühsam aus ihrer Benommenheit. Steh auf und mach dich auf die Suche nach ihm. Aber dazu fehlte ihr die Kraft. Er würde bald von seiner Reise nach Frankfurt zurückkommen. Er würde wissen, was zu tun war. Die Regale waren so gut wie leer. Aber natürlich waren die Regale leer. John hatte ja alle Bücher verbrannt. John war aber doch gar nicht in Frankfurt. Sie musste ihn finden. Was würde sie Mary sagen? Aber Mary war gar nicht da. Mary war in Gloucestershire bei ihren Eltern und John. Das alles war so verwirrend, und sie war so unendlich müde. Wenn sie doch nur schlafen könnte. Sie würde Mistress Poyntz um ihren Schlaftrunk bitten. Nur dieses eine Mal. Was konnte es schon schaden? Ihr Kind schlief doch bereits unter den Steinen.
Endor räumte die Reste ihres Frühstücks ab. Kate konnte sich nicht erinnern, etwas gegessen zu haben, aber auf ihrem Teller lag nur noch eine Hälfte eines süßen Brötchens. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und versuchte verzweifelt nachzudenken. Wo sollte sie beginnen? Ihr Verstand versagte ihr den Dienst. Das Fleet. Sie würde mit dem Fleet-Gefängnis anfangen. Dort hatte sie ihn beim letzten Mal gefunden.
Doch nicht John Gough, du Närrin. Du bist nicht Kate Gough. Du bist Kate Frith. John Frith haben sie verhaftet. John Frith werden sie foltern. John Frith werden sie töten. John Frith, deinen Ehemann. Der Kapitän wird ihn finden. Schlaf, Kate. Der Kapitän wird ihn finden.
Endor stellte ein dampfend heißes Getränk vor sie auf den Tisch. Sie grunzte und bedeutete Kate, sie solle trinken. Als sie nicht reagierte, hielt Endor ihr den Becher an die Lippen, und
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