Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
fassungslos. Sie wollte sich lieber nicht vorstellen, was sie ihm angetan haben mussten.
»Nein, ich habe mich zu gar nichts bekannt. Aber im Grunde läuft es auf dasselbe hinaus. Ich habe geleugnet, irgendetwas von englischen Bibeln gewusst zu haben, und ich habe abgestritten, Luthers Ansichten zu teilen. Ich habe ihnen versichert, dass ich weder Tyndales Schriften noch irgendwelche anderen lutherischen Texte drucken werde.« Er sah wieder zu ihr auf. Sie konnte die Scham in seinen Augen erkennen. »Wie du weißt, geht es hier nicht nur um mich allein«, fügte er hinzu.
Das war eine flehentliche Bitte um Verständnis. Und Kate wollte ihn auch verstehen. Wer war sie schon, dass ihr ein Urteil über ihn zustand? Dennoch empfand sie bei seinen Worten ein seltsames Gefühl des Verlustes, so als hätte er die Erinnerung an ihren Vater irgendwie besudelt. So als wäre er ein Feigling, weil er seinen Glauben verleugnet hatte. Dann jedoch dachte sie an Mary und das Baby. John hatte recht. Es ging hier nicht nur um ihn.
»Du hast getan, was du für das Richtige gehalten hast«, sagte sie.
»Das müssen wir alle tun. Es gibt kein Zurück mehr. Verstehst du das, Kate?« Er drückte fest ihre Hand. »Beim nächsten Mal werde ich sonst auf dem Scheiterhaufen brennen.«
Sie durfte jetzt nicht mit ihm diskutieren. Nicht nach dem, was er durchgemacht hatte.
»Ich verstehe das, John.« Sie hob die Hand und berührte leicht die lange verschorfte Wunde, die waagrecht über seine Stirn verlief, die Stirn, die der ihren so ähnlich war. Sie spürte den Schmerz in ihrem eigenen Körper. »In Goughs Druckerei und Buchladen werden niemals wieder verbotene Bücher verkauft werden«, sagte sie. »Das verspreche ich dir. Und jetzt lass mich gehen, damit ich dir etwas zu essen holen kann.«
Bis Mitte Mai hatte sich John Goughs Situation deutlich verbessert. Kate hatte nicht nur das Geld für eine Matratze für ihn beschafft, sie hatte auch – durch den Verkauf fast ihrer gesamten beweglichen Habe – so viel Geld zusammenbekommen, dass sie ihn in die Liberty des Fleet verlegen lassen konnte. Das allerdings kostete sie einiges: acht Pence Miete für ein kleines Zimmer in einem alten, baufälligen Haus, hinzu kamen pro Tag weitere zwölf Pence für einen Aufseher, der angeblich Wache hielt, dies aber nie tat. Es war nicht notwendig. Außerdem hatte sie die Übertragungsurkunde für das Geschäft als Sicherheit hinterlegen müssen, dass John das Gelände der Liberty nicht verlassen würde. Das hatte der alte Gefängniswärter mit Kaution gemeint.
Einige Male meinte sie, Tom Lasser in eine der vielen Schenken und Bordelle hineingehen zu sehen, die auf dem Gelände der Liberty wie die Pilze aus dem Boden geschossen waren. Aber nein, das konnte nicht sein. Dieser Mann war viel zu gut gekleidet und viel zu vergnügt, um ein Gefangener zu sein. Einmal jedoch hatte er sie direkt angesehen, und sie war sich sicher gewesen, dass sie ein erkennendes Aufblitzen in seinen dunklen, spöttischen Augen gesehen hatte. Sie hatte hastig den Blick abgewandt und war beim Klang seines Lachens errötet.
Johns Bewegungsfreiheit war zwar auf die Schenken und Häuser innerhalb der Liberty beschränkt, aber er wohnte immerhin in einem, wenn auch kleinen, so doch ordentlich ausgestatteten Zimmer, wo er den bescheidenen Komfort genoss, den Kate ihm ermöglichte. Mary und der Junge kamen ihn jeden Tag besuchen, brachten ihm etwas zu essen und auch saubere Wäsche. Manchmal blieb Mary sogar länger bei ihm. Da die Druckerei jedoch nicht in Betrieb und der Handel mit lutherischen Schriften verboten war, stand Kate der täglichen Herausforderung gegenüber, für das Quartier ihres Bruders in der Liberty aufkommen zu müssen. Die Miete war hoch – selbst für die großen, alten Häuser, die inzwischen allesamt baufällig waren. In der Regel konnten sich nur wohlhabende Kaufleute und Adelige, die das Pech gehabt hatten, bei der Krone in Ungnade gefallen zu sein, die Unterkunft dort leisten. So manch ein Adeliger war nach einem Besuch in der Star Chamber im Fleet eingekerkert worden.
John kam langsam körperlich wieder zu Kräften, aber sein alter Elan kehrte nicht wieder zurück. Obwohl er stets ein besonnener und nachdenklicher Mensch gewesen war, hatte er jetzt etwas geradezu melancholisch Stilles an sich. Merkwürdigerweise fiel Kate das stets am deutlichsten in Gegenwart seiner Frau und seines Kindes auf. So auch heute. Mary plapperte wie immer über
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