Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Familienerbstück. Eine illuminierte Bibel.« Sie senkte die Stimme, auch wenn sich die beiden Hafenarbeiter inzwischen anscheinend auf die Suche nach einem schattigen Platz gemacht hatten und nicht mehr zu sehen waren. »Eine Übersetzung von Wycliffe. Ich dachte …«
Der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ sie abrupt innehalten. »Aber natürlich. Wie dumm von mir«, sagte sie. »Sollte Thomas More Euch noch einmal mit seiner Gegenwart beehren, dann ist das gewiss das Letzte, was man bei Euch finden sollte. Es tut mir leid, dass ich …«
»Für Euch ist es nicht minder gefährlich. Es überrascht mich, dass John zulässt, dass …«
»Er wollte sie mit den anderen Büchern zusammen verbrennen, aber ich habe ihn davon abgehalten. Es wäre unendlich schade um sie. Die Bibel ist wirklich wunderschön, und außerdem habe ich sie sehr gut versteckt.«
Er hielt nur einen Moment inne.
»Wie viel?«, fragte er. Offenbar kam jetzt wieder der Kaufmann in ihm zum Vorschein.
»Zehn Pfund.«
Er stieß einen leisen Pfiff aus.
»Das ist nicht gerade preiswert!«
»Ich weiß, dass Ihr eine Tyndale-Übersetzung für weit weniger bekommt. Diese Bibel aber ist etwas für die Ewigkeit. Ich bin mir sicher, wenn Ihr sie erst einmal gesehen habt …«
Er lachte vergnügt in sich hinein.
»Ihr solltet für die Hanse verhandeln, Mistress Kate.« Er lächelte sie an. Es war ein warmes, aufrichtiges Lächeln, das über seinem kleinen, grauen Spitzbart erschien. »Ich werde morgen zu Euch ins Geschäft kommen und sie mir ansehen.«
John Frith erwachte aus einem betäubten Schlaf und sah das Gesicht einer ernst dreinblickenden, älteren Nonne über sich. Ein breites Gesicht mit einem Mund, der sich bewegte.
»Haltet still, wenn Ihr vermeiden wollt, dass ich Euch die Kehle durchschneide.«
Er erstarrte, versuchte sogar den zuckenden Muskel in seinem Augenlid ruhig zu halten, während sie mit der scharfen Schneide des Rasiermessers an seinem Unterkiefer entlangfuhr. Als er endlich wach war, stellte er fest, dass er nicht mehr auf dem Lehmboden des Kellers lag, sondern auf einer Matratze aus Stroh, und mit einer sauberen Wolldecke zugedeckt war. Ein wenig erschrocken stellte er fest, dass er unter dieser Decke nackt war.
»Wo bin ich, Schwester?«, fragte er, als sie innehielt, um seine ungepflegten Barthaare von der Klinge zu wischen. Er packte die Decke, überrascht, dass er tatsächlich noch die Kraft dazu hatte. Und es gelang ihm nicht nur, die Decke zu packen, er konnte sie sogar unter seinen Achseln festklemmen.
»Dies ist das St. Bart Hospital. Da Ihr Euch entschieden habt, die Augen zu öffnen und etwas zu sagen, denke ich, dass Ihr wohl überleben werdet. Als man Euch letzte Woche, mehr tot als lebendig, zu uns gebracht hat, sah es allerdings nicht danach aus. Da ich heute früh ein erstes Lebenszeichen wahrgenommen habe, dachte ich mir, dass Ihr vielleicht gern eine Rasur hättet. Jetzt würde ich jedoch erst einmal sagen, dass Ihr etwas Richtiges zu essen braucht.«
»Ein Glas Wasser?«
Sie lachte wehmütig.
»Ihr seid ganz schön durstig. Seit Ihr bei uns seid, habt Ihr so viel getrunken, als wolltet Ihr den Fleet River trockenlegen. Und Ihr habt entsprechend viel gepinkelt.«
Sein Gesicht begann zu glühen, und er klemmte sich die Decke noch fester unter seine Achseln. Sie goss aus einem Krug, der neben seinem Bett stand, Wasser in einen Becher und drückte ihn ihm in die Hand. »Wenn wir hier fertig sind, werde ich jemanden aus der Küche mit etwas Brühe und Kalbsfußsülze schicken, aber Ihr solltet lieber langsam essen.«
Er nahm einen Schluck Wasser und behielt ihn erst einmal eine Weile im Mund. Dann trank er das Glas leer und gab es ihr zurück. Sie fuhr fort, ihn zu rasieren.
»Ihr habt großes Glück, dass Ihr zu krank wart, um mit den anderen in den Lollardenturm gebracht zu werden.«
»Welchen Unterschied sollte das für die Pap … für meine Peiniger machen?«, fragte er.
»Sie brauchen Euch lebendig – damit Ihr abschwört, so wie es die anderen getan haben.«
Frith erwiderte darauf nichts, schloss nur die Augen. Das Zucken in seinem Augenlid hatte von allein aufgehört – wahrscheinlich aus purer Erschöpfung.
Abschwören, dachte er, wohl wissend, welche Folterinstrumente bei seinen Freunden angewendet worden sein mussten, um eine solche Reue zu bewirken. Und er wusste, dass ein einziger Fehltritt nach einem öffentlichen Abschwören sofort dazu führte, dass man ohne weiteren Prozess zum
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