Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
muss. Die Kleidung des Toten liegt zu einem Bündel zusammengelegt am Fuße seines Bettes. Wenn Ihr wollt, bringe ich sie Euch. Der Mann war wohl ein bisschen größer als Ihr, aber die Sachen sind auf jeden Fall besser als die Decke.«
Frith konnte sein Glück kaum fassen.
»Ich habe kein Geld, um Euch zu bezahlen«, sagte er. »Aber …«
»Nein.« Der Pfleger lachte. »Ich bin auch nur ein Pisser, genauso wie Ihr. Tragt sie und bleibt gesund.«
Ein paar Minuten später, bevor der Pfleger zum anderen Gebäudeflügel hinüberging, sah Frith den Schatten des alten Mannes zum Ende des Saales gleiten und hörte das unmissverständliche Geräusch des Schlüssels im Schloss. Seine Zuversicht verflog. Die Nonne hatte sich getäuscht. Der Pfleger hatte die Tür doch abgeschlossen.
Du Narr! Das hat er getan, weil er weiß, dass du wach bist! Hättest du nur deine große Klappe gehalten! Er stieg mit wackeligen Beinen vorsichtig aus dem Bett und zog das Hemd und die Hose an, die der Mann ihm gebracht hatte. Der alte Pfleger hatte recht gehabt. Beides war ein wenig zu groß für ihn, also krempelte er die Hose an der Taille um und band das Hemd mit dem Seil fest, das ihm auch als Gürtel diente. Wenigstens hatte er jetzt etwas zum Anziehen, sollte sich ihm vielleicht doch die Gelegenheit zur Flucht bieten. Vielleicht morgen Nacht. Er würde so tun, als würde er schlafen wie ein Stein – falls ich dann noch hier bin, dachte er trübselig.
Eine stinkende und wahrscheinlich sehr ungesunde Brise wehte durch das Fenster herein. Sie trug den Geruch von Urin und Fäkalien mit sich. Frith rümpfte angeekelt die Nase. Was musste man tun, um auf dieser Welt noch einmal saubere Luft atmen zu können? Du Idiot! Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. Das Fenster.
Wenige Minuten später zwängte sich John Frith unter vielen Verrenkungen nach draußen – er war jetzt zwar viel dünner als noch vor drei Monaten, aber die Fensteröffnung war sehr schmal – und ließ sich vorsichtig nach unten, bis seine nackten Füße den Boden berührten. Er war so erleichtert, dem Hospital entkommen zu sein, dass er den Schmutz, der zwischen seinen Zehen hervorquoll, kaum wahrnahm.
In den Kleidern eines Toten und auf Beinen, die so unsicher waren wie die eines neugeborenen Fohlens, machte er sich auf den Weg zum Steelyard. Er versuchte sich an das zu erinnern, was Garrett ihnen darüber erzählt hatte, wie die Bücher nach England kamen. Vielleicht konnte er seine Arbeitskraft gegen eine Überfahrt – und ein Paar Schuhe – anbieten. Die Gilde der Hansekaufleute würde ihm bestimmt helfen, auf das Festland zu kommen, wo er sich dann seinem Freund und Mentor William Tyndale anschließen würde. Vielleicht war dies der Grund, weshalb Gott ihn aus dem Keller errettet hatte.
Abgesehen davon war ihm durchaus bewusst, welches Schicksal ihn erwartete, wenn er in England blieb.
Regen prasselte auf den kleinen Lastkahn nieder, der sich mühsam die Themse hinauf auf Reading zubewegte. Kate war dankbar für den schweren Mantel, den John an einem Haken neben der Tür hatte hängen lassen.
Der Mantel hatte dort seit jener Nacht gehangen, in der man ihren Bruder verhaftet hatte. All die vielen Wochen hatte sie es nicht über sich gebracht, ihn herunterzunehmen. Sie hatte sich geschworen, ihn dort hängen zu lassen, bis John ihn persönlich abholen würde. Nun, zumindest kann ich in diesem Mantel meine weibliche Figur verbergen, hatte sie gedacht, als sie ihn vom Haken nahm, ausklopfte und hochhielt, um ihn sich genauer anzusehen. Sie war genauso groß wie John … wenn sie die Schultern ein wenig auspolsterte …
Es hatte funktioniert.
Im bleichen Licht der heraufziehenden Morgendämmerung hatte der Kaufmann Swinford keine Zweifel an ihrer Identität gehabt, als er sagte:
»Ich freue mich, dass Ihr wieder ein freier Mann seid, Gough.« Kate antwortete ihm mit einem krächzenden Flüstern:
»Aber ein nicht ganz gesunder«, und zeigte auf ihren Hals.
Das war ein vielversprechender Anfang und ein Hinweis darauf, dass sie ihren Plan weiterverfolgen sollte. Jetzt war es ohnehin zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen. Sie hatte in der Nacht zuvor wach gelegen und immer wieder über ihren verrückten Plan nachgedacht. Schließlich hatte sie beschlossen, ihn aufzugeben, und war kurz danach eingeschlafen. Das Krähen eines Hahnes, der die Morgendämmerung ankündigte, hatte sie geweckt. Und dann hatte sie sich doch beim ersten Licht des Tages
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