Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Kapitän, als er Sand Point gesichtet hatte. Seine Leute kletterten den Großmast hinauf, als die Siren’s Song auf die vorspringende Landspitze zu in den Bristolkanal einfuhr, während ihr großes, quadratisches Segel schlaff herabhing.
Sie waren zu früh dran. Es war noch zu hell, als dass sie die Signalfeuer am Worleburg Hill hätten sehen können, außerdem konnte man den Namen des Schiffes auf der Steuerbordseite lesen. Der Kapitän gab Befehl, die Taue nachlässig über die Bordwand hängen zu lassen, um die frisch vergoldeten Lettern zu verdecken.
»Werft den Anker aus«, rief er jetzt. Das Schiff schaukelte auf den Wellen, knapp fünf Kilometer vom flachen Wasser der Hafeneinfahrt entfernt. Jetzt wurde auch das schwarze Besansegel eingeholt. Das, was die Männer des Königs zu sehen bekamen, war ein dahindümpelndes Fischerboot, nicht gerade das schnellste und wendigste Schiff in englischen Gewässern. In Wahrheit aber konnte die Karavelle von dreißig Tonnen mit ihrer zehnköpfigen Mannschaft und den vier schwarzen Segeln jeden Verfolger abhängen, abgesehen von einer spanischen Galeone, und auch dann kam es darauf an, wie schwer diese bewaffnet war. Die Siren’s Song war wunderschön, sie war schnell, und sie gehörte ihm.
Und genau deshalb liebte Tom Lasser sie so sehr.
Aber obwohl sein Schiff über eine Kanone verfügte, die sich hinter einem unschuldig wirkenden Bullauge befand, und es sehr schnell war, machte es ihn nervös, wie ein großer schwarzer Schwan direkt vor der Nase eines jeden neugierigen Zollagenten herumzuschwimmen. Mehr noch, am westlichen Himmel hinter ihnen ballten sich dicke graue Wolken zusammen, die sich schnell auf das Festland zubewegten. Sein linkes Handgelenk, das er sich vor ein paar Jahren bei einem unvermeidlichen Geplänkel gebrochen hatte, schmerzte immer, wenn ein Unwetter nahte. Es war besser als jeder Schamane.
Ein früher Septembersturm konnte zur Folge haben, dass die Siren’s Song in der Bucht festsaß, konnte sie sogar ans Ufer drücken, sodass sie im flachen Wasser auf Grund lief. Er überlegte, ob er die Beiboote klarmachen, seine Fracht an Land bringen und in der kleinen Bucht verstecken sollte. Das jedenfalls wäre die normale Vorgehensweise gewesen.
In der Ferne ertönte Donnergrollen. Plötzlich erschien die stumme Frau, die seine Kajüte sauber hielt, an Deck. Der erste Maat beäugte sie missbilligend und begann, leise vor sich hin murmelnd, das Ankertau abzuwickeln. Lasser sah ihn stirnrunzelnd an, und das Murmeln hörte auf. Er hatte die Mannschaft schon mehr als einmal zurechtweisen müssen, wenn sie von Neuem über die Anwesenheit einer Frau an Bord murrten, vor allem einer Frau, der die rechtschaffenen Männer ihres Dorfes die Zunge herausgeschnitten hatten. Kapitän Lasser bezahlte seine Mannschaft jedoch so gut, dass sie über ihren Aberglauben hinwegsahen. Außerdem hatte jeder an Bord mit seiner Unterschrift oder einem Kreuz seine Zustimmung gegeben, dass die Frau an Bord sein durfte.
Das Unwetter musste sie an Deck gelockt haben. Meistens blieb sie unten und ließ sich nicht blicken. Tom wusste nicht, ob es mit ihrer Wahrsagerei etwas auf sich hatte; vielleicht konnte sie ja in ruhigem Wasser tatsächlich die Zukunft sehen. Auf jeden Fall hatte er sie halb verhungert, blutend und stöhnend in einem Graben gefunden. Die Männer ihres Dorfes hatten sich an ihr vergangen, bevor sie sie dafür bestraften, dass sie mit dem Teufel im Bund stand. Offensichtlich hatten sie keine Angst davor gehabt, dass sie tatsächlich eine Hexe sein und ihre Eier zu Erbsen schrumpfen lassen könnte.
Er hatte sie in sein Quartier gebracht, ihr zu essen gegeben und einen Chirurgen holen lassen, um den noch immer blutenden Stumpf ihrer Zunge zu versorgen. Ein paar Wochen später, als es ihr wieder besser ging und er versuchte, sie wegzuschicken, weigerte sie sich zu gehen. Sie beide mussten auf dem Dock einen seltsamen Anblick geboten haben, als er versuchte, sie wie eine streunende Katze davonzuscheuchen, während sie einfach nur dastand und jedes Mal, wenn er einen Schritt machte, ebenfalls einen Schritt tat, so als wären sie an den Knöcheln miteinander verbunden. Schließlich hatte er resigniert die Arme gehoben und war davongegangen.
Sie war ihm auf das Schiff gefolgt.
Zuerst hatte er sie ignoriert. Als er jedoch feststellte, dass sein Bettzeug und sein Quartier von nun an stets sauber und sein Essen tatsächlich genießbar war, hatte er ihre Anwesenheit mit
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