Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
hätte.«
Sie hatten das Labyrinth inzwischen verlassen und gingen durch den Obstgarten, hinter dem Dutzende von Männern große Teiche aushoben. Als sich der König näherte, bewegten die Schaufeln sich noch emsiger. Heinrich blieb am Rande eines Teiches stehen, um seinen Untertanen zuzusehen. Die nachmittägliche Sonne warf die Schatten der Birnen- und Apfelbäume auf die Arbeiter. Fast sah es so aus, als würden die Äste mit knorrigen Händen nach ihnen greifen. Heinrich setzte sich auf eine Bank und klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich. »Dies sollte Eure Tugend in der Öffentlichkeit nicht kompromittieren, Mylady.«
Anne ignorierte seinen Sarkasmus. Ihre Gedanken beschäftigten sich noch immer mit seinen letzten Worten.
»Ich fürchte, Ihr bringt mich in eine gefährliche Position, Euer Majestät. Anscheinend habe ich mir inzwischen die Feindschaft sehr mächtiger Männer zugezogen.«
Er schnaubte leise.
»Thomas? Wegen More braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Er ist zu sehr damit beschäftigt, Ketzer zu verbrennen.« Er tätschelte vertraulich ihr Knie. »Ich bin es, den Ihr erfreuen müsst, Anne. Mich allein.«
»Ich fürchte, Sir Thomas findet mein Verhalten durch und durch anstößig«, sagte sie leise. Sie zögerte einen Moment, überlegte und kam zu dem Schluss, da der König ihr schon sein Ohr lieh, sie von diesem Privileg Gebrauch machen sollte. »Ich muss Euch etwas zeigen«, sagte sie. »Es ist zwar bei weitem nicht so großartig wie Eure Wandteppiche, aber ich glaube, dass Ihr es dennoch sehen solltet.«
»Nun, Ihr macht mich neugierig. Ein neues Gedicht, das Mylady geschrieben hat, vielleicht ein kleines Schmuckstück oder ein Liebespfand aus Seide?«
Anne errötete.
»Nichts in der Art. Für solche Dinge wird noch genug Zeit sein, wenn sich unsere … wenn sich die Umstände geändert haben. Nein, es ist nur eine schlichte Druckschrift.«
»Ein Buch?« Er lachte so laut, dass einer der Männer, die den Teich aushoben, kurz in seine Richtung sah. Dann wandte er wieder den Blick ab. »Meine zukünftige Königin ist nicht nur wunderschön, sondern auch sehr gelehrt. Was für ein glücklicher Mann ich doch bin. Sir Thomas More wird dann nicht mehr der Einzige mit gebildeten Frauen in seinem Haushalt sein.«
»Leider ist es kein Buch, das Sir More oder der Kardinal gutheißen würden.« Sie griff in die Tasche, die verborgen in ihrem Rock eingenäht war und gab ihm das kleine Druckwerk. »Ich bitte Euer Majestät, dass Ihr es vertraulich behandelt und seine Herkunft für Euch behaltet … natürlich nur, wenn es Euer Hoheit beliebt.«
Er sah sie finster an.
»Das ist doch kein ketzerisches lutherisches Werk? Ich warne Euch …«
»Nein, das nicht. Aber es ist das Werk eines Mannes, den Master More nicht mag. Es ist ein Buch von jemandem namens Tyndale. Es trägt den Titel Der Gehorsam eines Christenmenschen .«
»Wo habt Ihr dieses Buch erworben, Mylady?«, fragte er streng.
»Es kam mir in die Hände, als ich den Kontinent besuchte. Ich habe es mitgebracht, noch bevor die jetzt geltenden Gesetze in Kraft traten. Ich übergebe es, so wie es das Gesetz verlangt, jetzt Euch.« Sie machte einen tiefen Knicks vor ihm.
»Ein weiser Entschluss. Mögen alle Eure Entscheidungen so vorausblickend sein. Wenn Eure Feinde dieses Buch in Eurem Besitz fänden, könntet Ihr große Schwierigkeiten bekommen. Warum habt Ihr es eigentlich nicht verbrannt?«
»Ich dachte, dass Ihr es vielleicht zuerst lesen wollt.«
»Habt Ihr es denn gelesen?«
»Ja, Euer Majestät, das habe ich.«
»Und? Was haltet Ihr davon?«
Sie zögerte. Heinrich war kein Freund der Lutheraner. Immerhin hatte er eine Schrift gegen Luther verfasst – die, wie sie vermutete, in gleichem Maße Thomas Mores Werk war wie sein eigenes. Diese Schrift hatte ihm die Gunst des Papstes und den Titel »Verteidiger des Glaubens« eingebracht. Sie schluckte heftig.
»Es lassen sich darin einige gute Argumente finden, auch wenn es einige lutherisch beeinflusste Gedanken enthält.«
Er schlug das Buch ungehalten gegen sein Knie, so als wolle er es bestrafen.
»Dann sollten wir es tatsächlich sofort dem Feuer übergeben.«
»Es finden sich darin auch gewisse Überlegungen zum Königtum, die, so glaube ich, Eurer persönlichen Meinung Stimme und Gewicht verleihen könnten.«
»Die Meinung des Königs bedarf weder zusätzlichen Gewichts noch einer zusätzlichen Stimme«, entgegnete er ihr mit gerunzelter Stirn.
Anne
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