Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
durchzogenen Weg unterbrach sein gleichmäßiges Schnarchen. Zwei Stunden später schlief er noch immer, und Kate konnte weiterhin die vorbeiziehende Landschaft genießen, ohne sich auf ihre Rolle konzentrieren zu müssen.
Gegen Mittag war es wärmer geworden, Sonne und Wolken wechselten sich ab. Swinford hielt an, um den Pferden eine Pause zu gönnen. Kate nutzte die Unterbrechung und erleichterte sich in einem nahen Gehölz, wobei sie inständig hoffte, dass ihre Reisegefährten nicht dieselbe Stelle wählen würden. Als sie auf den Wagen zurückkletterte, schien Frith sich jedoch noch immer nicht gerührt zu haben. Swinford hielt die Zügel bereits wieder in der Hand.
»Ihr seid ganz schön schamhaft, Gough, das muss man Euch lassen«, meinte er lachend.
»Ich habe Durchfall. Und diesen Anblick wollte ich Euch ersparen«, antwortete Kate barsch, so wie nach ihrer Ansicht ein Mann auf die spöttische Bemerkung eines anderen antwortete. Sie nickte in Friths Richtung. »Sollten wir ihn nicht wecken? Dann könnte er sich ein wenig die Beine vertreten.«
»Nein, lasst ihn schlafen. Er hat eine schlimme Zeit hinter sich. Der Schlaf wird ihm guttun. Wir werden später noch eine längere Pause machen. Wenn er es eilig hat, kann er während der Fahrt vom Wagen runterpinkeln.«
Kate versuchte diese Vorstellung so schnell wie möglich aus ihrem Kopf zu verbannen, als Swinford mit den Zügeln schnalzte und der Wagen sich mit einem Ruck wieder in Bewegung setzte. Sie griff in die Tasche von Johns Mantel, nahm das Stück Brot mit Speck heraus und begann zu essen. Sie betrachtete ihren schlafenden Reisebegleiter. Er sah im Schlaf irgendwie unschuldig und trotz des dunkler werdenden Bartschattens sogar jungenhaft aus. Und noch immer war er sehr bleich. Sein langer weißer Nacken sah in der vornübergebeugten Position aus, als wolle er gleich abbrechen. Eine Strähne welliges braunes Haar fiel ihm in die Stirn und hob sich sehr deutlich von seiner hellen Haut ab. Kate widerstand dem Drang, ein Stück Sackleinen zusammenzurollen und es ihm als Kissen unter den Nacken zu schieben.
Sie blickte in ein intelligentes Gesicht, mit einem entschlossenen Kiefer und einer edlen Stirn. Er sei auch Übersetzer, hatte er gesagt, ein Anhänger der lutherischen Sache, der auf den Kontinent reiste, um gemeinsam mit Tyndale zu arbeiten. Und auch wenn er es nicht ausdrücklich gesagt hatte, so konnte sie wohl davon ausgehen, dass er sich auf der Flucht befand. Sie bezweifelte sehr, dass die Prälaten die Studenten einfach so ziehen lassen würden. Jedenfalls war dieser junge Mann aus dem Hospital geflohen. Zu früh, seinem geschwächten Zustand nach zu schließen.
Jetzt rührte er sich und begann sich zu strecken. »Entschuldigt, dass ich ein so schlechter Reisebegleiter bin«, sagte er. »Es ist nur, dass … nun … Jedenfalls bin ich froh, diesem stinkenden Keller entronnen zu sein.«
»Es muss entsetzlich für Euch gewesen sein«, sagte sie, während sie eine Hand vor ihr glattes Kinn hielt.
Er tat ihre Worte mit einem Lächeln ab.
»Ein geringer Preis, nicht wahr? Wir sind Männer des Wortes, Ihr und ich, Gough. Brüder«, sagte er. Dabei legte er seinen Arm auf ihre Schulter und schüttelte sie leicht.
Sie spürte, wie ein Ruck durch ihren Körper ging, der jedoch nichts mit der holperigen Fahrt zu tun hatte. Sie errötete vor Verlegenheit. Wie sehr er sich doch von ihrem Bruder unterschied. Sie wäre gern mit ihm befreundet gewesen, vielleicht sogar mehr als das. Sein einnehmender Charme und sein Mut sprachen sie tief in ihrem Herzen an. Sie wünschte sich, es hätte sich die Gelegenheit ergeben, ihn besser kennenzulernen. Auch ihr Bruder John hätte ihn sicher gemocht. Zumindest der John, den sie einmal gekannt hatte.
»Alles in Ordnung, Gough?«, fragte Frith. »Ihr seht aus, als hättet Ihr gerade einen Geist gesehen.« Seine Stimme klang heiter, freundlich, in seinen dunklen Augen sah Kate jedoch echte Besorgnis. Sie spürte ein Brennen in ihren Augen, als sie sich daran erinnerte, wie Frith sie – genau genommen ihren Bruder – zu ihrem Mut beglückwünscht hatte.
»Mir ist nur ein bisschen Staub von der Straße in die Augen gekommen«, knurrte sie und hoffte plötzlich von ganzem Herzen, dass sie es rechtzeitig schaffen würden, damit dieser John sein Schiff erreichte und seine Flucht glückte.
Als sie in Little Sodbury ankamen, waren die langen Schatten hinter drohenden Gewitterwolken verschwunden. Auch wenn Kates
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