Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
verschränkte die Arme vor der Brust. »Dir wird nicht entgangen sein, dass er gesund und munter ist.«
Hugh bemerkte die neuen Furchen in Longespees Augenwinkeln und zwischen Nase und Mund und die hohlen Wangen, die von zu wenig Schlaf zeugten.
»Das sehe ich, trotzdem möchte ich von dir hören, wieso er bei dir ist.«
»Das weißt du nicht?« Argwöhnische Überraschung war in Longespees dunkelbraunen Augen zu erkennen.
»Sonst würde ich ja wohl kaum fragen«, sagte Hugh gereizt.
Longespee rieb sich den Nacken.
»Die Frauen haben es arrangiert«, entgegnete er. »Deine Frau hat meine gebeten, ihn in unsere Obhut zu nehmen und dafür zu sorgen, dass ihm nichts geschieht.« Seine Lippen krümmten sich zu einem bitteren Lächeln. »Zumindest deine Frau ist der Meinung, man könnte mir den Jungen unbesorgt
anvertrauen. Ich verstehe, warum sie es vermieden hat, mit dir darüber zu sprechen.«
Der Verrat traf ihn wie ein Schlag.
»Mahelt hat dich gebeten, ihn zu nehmen?«
»Sie fragte Ela, als sie in Bradenstoke war. Ela willigte ein und schrieb mir, und ich stimmte zu, weil Ela meine geliebte Frau ist, der ich Treue und Loyalität schulde. Ich würde alles tun, was sie von mir verlangt.«
»Und deinem Bruder, dem König, schuldest du keine Loyalität?«
Longespee maß ihn mit einem harten Blick.
»Nein«, erwiderte er. »Nicht mehr – und ich denke, du kennst den Grund dafür.«
Noch immer wie vor den Kopf geschlagen, weil Mahelt sich ohne sein Wissen in einer für sie beide so wichtigen Angelegenheit an Ela gewandt hatte, konnte Hugh nur stumm nicken.
Longespee errötete leicht.
»Ela sagte mir, du hättest dich damals um sie gekümmert. Dafür bin ich dir sehr dankbar.«
»Ich habe es nicht deinetwegen, sondern Ela zuliebe getan.«
»Das ist mir klar, trotzdem danke ich dir.«
Hugh winkte ab.
»Es war selbstverständlich, Dank erübrigt sich.« Er räusperte sich verlegen. »Ich habe dir zu danken, weil du meinen Sohn aus der Geiselhaft befreit hast.«
Ein Funke glomm in Longespees Augen auf.
»Darf ich das so verstehen, dass für den Augenblick Waffenstillstand zwischen uns herrscht?«
Hugh nickte knapp.
»Alles andere wäre in unserer Situation töricht.«
Die Brüder umarmten sich und tauschten den Friedenskuss, und obwohl die Geste steif und linkisch wirkte, fand sie vor
den Augen anderer statt und war aufrichtig gemeint. Longespee wandte sich ab, um seinen Männern einige Befehle zu erteilen, und zauste im Vorübergehen Rogers dunkles Haar.
»Du warst ein guter Knappe, Neffe«, sagte er. »Ich habe deine Gesellschaft sehr genossen.«
Roger lächelte und vollführte eine anmutige, perfekte Verbeugung. Longespee lachte leise. »Es ist schon erstaunlich, wie schnell er gute Manieren gelernt hat, nachdem man ihn einmal auf den richtigen Weg gebracht hatte.«
Hughs Augen wurden schmal.
»Mein Sohn hatte schon ausgezeichnete Manieren, bevor er zu dir kam, aber du warst ja schon immer groß darin, überflüssige Verzierungen auf ein Kleidungsstück zu nähen, das auch so bereits seinen Zweck erfüllt.«
Longespee wirkte überrascht und ein wenig gekränkt.
»Ich hatte das als Lob gemeint.«
Hugh schnaubte gereizt.
»Oh ja«, erwiderte er. »Wie könnte es auch anders sein?«
43
London, Juli 1216
Mahelt saß neben Idas Bett und hielt ihre Hand. Ihre Schwiegermutter wurde zusehends gebrechlicher. Sie hatte keinen Appetit mehr und musste zu jedem Bissen überredet werden. Sie schlief viel, und wenn sie wach war, war sie oft nicht bei sich. Der Kaplan und der Arzt waren ständige Besucher. Der Arzt hatte erklärt, er sei mit seiner Weisheit am Ende, und die Countess werde entweder durch Gottes Gnade wieder gesund, oder er werde sie zu sich in sein Reich holen.
Im Moment war Ida wach und bei klarem Verstand. Sie hielt den Blick auf die geöffneten Fensterläden geheftet und flüsterte kläglich:
»Ich werde meinen Sohn nicht mehr sehen. Es ist zu spät.«
»Natürlich wirst du das«, erwiderte Mahelt mit aufgesetzter Zuversicht. »Im Herbst bist du wieder zu Hause in Framlingham, du wirst sehen.«
Ida schüttelte den Kopf.
»Es macht nichts«, sagte sie müde. »Framlingham war immer mehr das Heim des Earls als meins. Ich hätte auch weiter mit ihm in der alten Steinhalle gelebt, die wir genutzt haben, bevor die Türme errichtet wurden, ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein ruhiges Leben. Oh, ich habe das Leben am Hof genossen, als ich ein junges Mädchen war … die
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