Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
mir.«
Mahelt machte sich auf die Suche nach ihm, stieß aber zuerst auf den Earl, der am anderen Ende der Halle saß und einem Schreiber Briefe diktierte. Übelkeit stieg in ihr auf. Diesen Mann musste sie Vater nennen, der in aller Ruhe Briefe verfasste, während seine Frau im Sterben lag, und letztendlich für die Geschehnisse in Framlingham verantwortlich war. Lag ihm denn an nichts und niemandem etwas?
Roger und Hugo saßen neben ihm, und der Earl erlaubte ihnen, sein Siegel in das angewärmte grüne Wachs zu drücken. Er beobachtete sie genau und zeigte ihnen, was sie tun sollten. Die Stimme und das Gebaren des alten Mannes drückten schroffe Zärtlichkeit aus, und die Jungen waren mit rührendem Eifer bei der Sache.
»Sir.« Mahelt versank in einem steifen Knicks.
»Meine Tochter«, erwiderte der Earl, ohne sie anzusehen.
»Die Countess …« Sie hob das Kinn. »Werdet Ihr zu ihr kommen?«
Er hielt in seinem Tun inne.
»Sie weiß, dass ich vieles zu erledigen habe. Was für sie getan werden kann, wird getan. Es mangelt ihr an nichts.«
»Außer an Eurer Gegenwart, Mylord.«
Die Kiefer des Earls begannen zu mahlen. Er scheuchte den Schreiber mit einer Handbewegung fort und erhob sich.
»Du weißt immer noch nicht, wann du besser deine Zunge im Zaum halten solltest.«
Mahelt funkelte ihn finster an; sie hielt ihn für lieblos und gleichgültig. Und dann bemerkte sie wie schon einmal zuvor einen Anflug von Angst in seinen Augen und begriff, dass sie nicht vom Rheuma wässrig, sondern tränenfeucht waren und dass sein mit silbernen Bartstoppeln bedecktes Kinn bebte.
»Oh doch, das tue ich, Mylord«, gab sie zurück. »Die Countess glaubt, sie wäre für Euch nicht wichtig, aber ich finde, sie
sollte Euch sehr wichtig sein, und wenn Ihr deswegen meint, ich wisse nicht, wann ich meine Zunge im Zaum zu halten habe, werde ich mich nicht entschuldigen.«
Der Earl wies Hugo an, das Siegel in das hölzerne Kästchen zurückzulegen, und stapfte wortlos hinaus.
»Warum ist Großpapa böse?«, erkundigte sich Roger.
»Weil ich ihn an eine Verpflichtung erinnert habe, die er lieber vergessen würde.« Mahelt legte ihm die Hände auf die Schultern. »Er ist nicht böse auf dich.«
»Ich habe ihm geholfen, Briefe zu versiegeln«, prahlte Roger stolz. »Ein Dokument für ein Nonnenkloster. Er sagt, es wäre für Großmutters Seele.«
»So?« Alles schön und gut, dachte sie, aber Pakte mit Gott, Ärzte und bezahlte Gebete ersetzen nicht die persönliche Fürsorge. Ihr Schwiegervater lief vor seiner Verantwortung davon. Wäre es umgekehrt gekommen, Ida wäre nicht von seiner Seite gewichen. Sie schickte Roger und Hugo zu ihrer Kinderfrau und setzte ihre Suche nach Hugh fort. Als sie bei den Ställen um eine Ecke bog, blieb sie abrupt stehen, ihr Blick fiel auf den Earl, der an der Wand lehnte und bitterlich schluchzte. Mahelt zog sich hastig zurück, denn sie wusste, dass er es ihr nie verzeihen würde, wenn sie ihn so sehen würde. Sie schlug den längeren Weg zum Garten ein, um ein paar spät blühende Rosen und grüne Zweige für Idas Kammer zu pflücken. Dann blieb sie erneut stehen, weil Hugh ihr mit einem Strauß Blumen entgegenkam.
Beide musterten sich verlegen.
»Für meine Mutter«, sagte er schließlich. »Ich dachte, sie würde sich vielleicht freuen.«
»Ich wollte gerade selbst welche holen.« Sie beschloss, ihm nichts von seinem Vater zu erzählen.
»Dann können wir sie ja beide zu ihr bringen.« Er rührte
sich nicht, sondern straffte die Schultern, als wappne er sich für einen Kampf. »Ich habe viel nachgedacht.«
Mahelt hob die Brauen.
»Worüber denn?«
Er atmete langsam aus.
»Ich habe alles mir Menschenmögliche getan, um die Dinge zwischen uns wieder ins Lot zu bringen. Einiges mag falsch gewesen sein, aber jetzt weiß ich nicht mehr weiter, und ich habe auch keine Lust mehr, es immer wieder zu versuchen. Vielleicht kann ich es nicht ertragen, dass ich mich in einem Garten aufhalte, der einst geblüht hat und nun unter Dornen erstickt, weil ich kein eifriger Gärtner war und diejenige, für die ich ihn angelegt habe, nicht mehr hierherkommt.«
Mahelts Augen brannten, und ihre Kehle war so fest zugeschnürt, dass es schmerzte.
Er dämpfte die Stimme.
»Wenn du nicht willst, dass ich … wenn du getrennte Haushalte willst … das kann ich einrichten.«
Das ungeheure Ausmaß dieses Vorschlags hing wie eine schwere, dunkle Wolke zwischen ihnen. Mahelt konnte förmlich spüren,
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