Die Entdeckung der Erde
Jahreszeitenwinde benutzten, konnten sich vertrauensvoller auf’s Meer hinauswagen, die Karawanen zogen ihres Weges sicherer durch das Land, und als Gesammtwirkung dieser durch die Schriften der Gelehrten verbreiteten Kenntnisse erfreute sich der Handel in der zweiten Hälfte des Mittelalters eines ganz ungewöhnlichen Aufschwungs.
Drittes Capitel
Berühmte Reisende vom 10. bis zum 13. Jahrhundert.
Benjamin von Tudela (1159–1173). – Plan von Carpin (1245–1247). Rubruquis (1253–1254).
Die Skandinavier im Norden, in Island und Grönland. – Benjamin von Tudela besucht Marseille, Rom, die Walachei, Konstantinopel, den Archipel, Jerusalem, Bethlehem, Damaskus, Balbek, Ninive, Bagdad, Babylon, Bassorah, Ispahan, Schiraz, Samarkand, Thibet, Malabar, Ceylon, das Rothe Meer, Egypten, Sicilien, Italien, Deutschland und Frankreich. – Plan von Carpin durchforscht das Land von Coman und Khangita, das heutige Turkestan. – Sitten und Gebräuche der Tataren. – Rubruquis und das Asow’sche Meer, die Wolga, das Land der Baschkiren, Caracorum, Astrachan, Derbend.
Während des 10. Jahrhunderts und im Anfange des 11. herrschte sozusagen ein reges geographisches Leben im nördlichen Europa. Norweger und unternehmungslustige Gallier hatten sich auf die Meere des Nordens hinausgewagt, waren, wenn man verschiedenen, mehr oder weniger authentischen Berichten Glauben schenken darf, bis in das Weiße Meer vorgedrungen und hatten die heute von den Samojeden bewohnten Gebiete besucht. Einige Urkunden deuten sogar darauf hin, daß der Fürst Madoc das amerikanische Festland betreten habe.
Jedenfalls entdeckten skandinavische Abenteurer im Jahre 861 Island, das die Normanen sofort kolonisirten. Ungefähr um dieselbe Zeit hatte ein Norweger in einem neuen, im äußersten Westen Europas gelegenen Lande Zuflucht gesucht und demselben, freudig erstaunt über das prächtige Grün seiner Erscheinung, den Namen Grünes Land oder Grönland gegeben. Die Verbindung mit diesem Theile des amerikanischen Continentes war aber eine so schwierige, daß ein Schiff, nach der Angabe des Geographen Cooley, »fünf Jahre brauchte, um von Norwegen nach Grönland zu segeln und von Grönland nach Norwegen zurückzukehren«. In strengen Wintern freilich fror der ganze nördliche Ocean zuweilen vollkommen zu und ein gewisser Hollur-Geit konnte einmal, geführt von einer Ziege, zu Fuß von Norwegen aus nach Grönland gelangen. Vergessen wir aber bei solchen Mittheilungen niemals, daß sie noch den Zeiten der »Saga« angehören und daß jene hochnördlichen Länder stets reich an wunderbaren, sagenhaften Ueberlieferungen gewesen sind.
Wir wenden uns also lieber den wirklichen, erprobten und unbestreitbaren Thatsachen zu und erzählen die Reise eines spanischen Juden, dessen Wahrheitsliebe durch zeitgenössische Berichterstatter bestätigt wird.
Dieser Jude war der Sohn eines Rabbiners aus Tudela, einer Stadt des Königreichs Navarra, und nannte sich Benjamin von Tudela. Wahrscheinlich bestand der Zweck seiner Reise nur darin, die Gesammtzahl seiner über den ganzen Erdball zerstreuten Glaubensgenossen festzustellen. Doch gleichviel; jedenfalls zog er vierzehn Jahre lang, von 1160 bis 1173, fast durch die ganze, damals bekannte Welt, und es bildet sein Bericht eine inhaltsreiche, selbst in’s Kleinliche eingehende Urkunde, die bis zum 16. Jahrhundert in sehr hohem Ansehen stand.
Benjamin von Tudela trat seine Reise von Barcelona aus an und gelangte über Tarragona, Girone, Narbonne, Béziers, Montpellier, Lunel, Pousquiers, Saint-Gilles und Arles nach Marseille. Nach einem Besuche der beiden Synagogen und der vornehmsten Juden dieser Stadt schiffte er sich nach Genua ein, wo er nach viertägiger Seefahrt eintraf. Die Genuesen spielten damals die Herren des Meeres und bekriegten die Pisaner, ein tapferes Volk, das ebenso wie die Genuesen weder Könige noch Fürsten, sondern nur oberste Richter hatte, die man nach Belieben ein-oder absetzte.
Benjamin von Tudela besuchte nun Lucca und gelangte dann, nach einer Reise von sechs Tagen, nach dem großen, berühmten Rom. Den päpstlichen Stuhl hatte jener Zeit Alexander III. inne, der, wie man sagt, sogar unter seinen Ministern einige Juden verwendete. Von den Baudenkmälern der Ewigen Stadt erwähnt Benjamin von Tudela eingehender nur der Kirchen St. Petri und St. Johannis vom Lateran; doch sind seine Beschreibungen derselben gar zu trocken gehalten. Von Rom aus begab er sich über Capua und das halb
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