Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
Vom Netzwerk:
Wir hätten … Wenn ich nicht aufpasse, dann …
    Plötzlich sah er die Stadt Louth vor sich, inmitten friedlicher
Wiesen voller Kühe, in der Ferne die Hügel und Wälder, er sah sogar Lastkähne
auf dem Kanal entlangziehen. Dann war er in der Stadt, sah die Bürger gehen auf
beiden Seiten der Straße, sie begrüßten sich freundlich, achteten und
verstanden einander. Jenseits der Stadt ein riesiger Berg – das war er doch
selbst! Nur er und die anderen Berge waren es, die wirklich reisten. Er allein
war Commander. Er hielt für die anderen die Schnur …
    Als er wieder zu sich kam, saß Augustus neben ihm und pfiff eine
Melodie.
    Â»Warum pfeifst du?« fragte John.
    Â»Pfeifen vertreibt den Tod«, antwortete der Dolmetscher.
    John stand auf. »So ist das also. Ich dachte, ich wäre ein Berg und
meine Füße könnten auch ohne mich weiter. Wo sind die anderen? Ist Dr. Orme
inzwischen aufgetaucht?«
    Augustus sah ihn erschrocken an, und John drehte sich energisch um
und marschierte weiter. Er wußte jetzt, wovor er am meisten Angst hatte: daß er
auf das Meer der Verrücktheit geraten und dort kentern und sinken könnte wie
ein schlecht geführtes Schiff. Die Angst ließ ihn schnell und immer schneller
gehen. Ihm war, als ob die Vorboten des Irrsinns schon die Hände nach ihm
ausstreckten: daß er an den Teufel glauben, von Toten verfolgt sein könnte, die
ihn, weil sie noch langsamer waren, notwendig einholen müßten. Es gab nicht nur
schlecht geführte, sondern auch unglückliche Schiffe.
    Back ist es, der mich verrückt macht, dachte er. Ob mein Mißtrauen
berechtigt ist oder nicht, er macht mich verrückt. Ich muß ihn fortschicken.
    Ein Sextant, ein Kompaß, eine Skizze mit den Positionen
von Fort Enterprise, Fort Providence und den wichtigsten Seen und Flüssen, das
war, was Back von John mitbekam. Die Munition wurde geteilt: Back bekam ein
gutes Fünftel. Schließlich hatte er nur vier Leute dabei, und sie waren noch
die Stärksten: St. Germain, Solomon Bélanger, Beauparlant und Augustus.
Außerdem würde er lange vor allen anderen in Fort Enterprise sein, wo die
Vorräte warteten. Mochte er sich zuerst bedienen! Selbst wenn die Vorräte
geringer waren als erwartet und wenn Back mit seinen Leuten zu viel verzehrte,
so war das immer noch besser als ein offener Aufstand der Schnellen gegen die
Langsamen.
    So ließ sich das System wahren: John Franklin blieb der
Befehlshaber, und alle konnten weiterhin Ehrenmänner sein.
    Back marschierte los, Franklin blieb zurück. Man mußte ohnehin noch
auf Samandré, Vaillant und Crédit warten, deren Zustand inzwischen schlimmer
war als der von Hood.
    Nach einer halben Stunde schleppte sich Samandré heran und teilte
mit, die beiden anderen seien liegengeblieben, er habe sie nicht mehr zum
Aufstehen bewegen können.
    Richardson ging nun auf Samandrés Spuren zurück, um nach ihnen zu
sehen. Er fand sie halb erfroren, der Sprache nicht mehr mächtig, auf freiem
Feld. Da er zu schwach war, einen von ihnen zu tragen, kehrte er zu den anderen
zurück.
    Franklin hatte sich den Fuß verstaucht und lahmte. Wer hatte noch
genug Kraft? Sie versuchten Benoit und Peltier, die noch am stärksten waren,
zum Transport der Liegengebliebenen zu bewegen, aber vergebens. Im Gegenteil,
die Voyageurs drängten John, er möge sie hinter Back herschicken und es
überhaupt jedem überlassen, wie er sich fortbewegen wolle. John packte Benoit
an den Schultern und schüttelte ihn, so fest er noch konnte: »Ihr wißt die Richtung
nicht, verstehst du das? Ihr wißt die Richtung nicht!«
    Â»Wir folgen den Spuren von Mr. Back.«
    Â»Etwas Schnee oder Regen, und ihr seht sie nicht mehr. Dann ist es
aus mit euch!«
    Mühsam sah Benoit das ein, aber die Erfrierenden wollte er nicht
holen: »Dann ist es auch mit mir aus!«
    John kämpfte einige Minuten lang mit sich, dann sagte er: »Weiter!
Wir lassen sie zurück!«
    Es war die Niederlage. Er hatte diese zwei Männer nicht retten
können. Was war er für ein Commander! Jetzt mußte er wenigstens den Rest daran
hindern, aus Verzweiflung und Blindheit zu sterben. Aber sein Fuß schwoll an
und schmerzte grausam. Er begann zu ahnen, wie die Reise für ihn enden würde.
    Nach wenigen Meilen brach Hood bewußtlos zusammen. Da er nicht
getragen werden konnte,

Weitere Kostenlose Bücher