Die Entdeckung der Langsamkeit
zu
zerdrücken, verspätungshalber, weil die Angst nicht schnell genug gewichen war,
das hieà fast mehr als den Kopf verlieren. Es war eine Demütigung, eine
Ohnmacht, und niederschmetternder als die andere. Jetzt, da er überlebt hatte
und sein Kopf wieder alle Gedanken zulassen muÃte, ging die Schlacht im Inneren
weiter, Hände, Muskeln und Nerven rebellierten.
»Ich habe den umgebracht«, sagte John und bebte. Der Mann mit dem
hohen Schädel sah ihn aus müden Augen an. Er blieb unbeeindruckt. »Ich konnte
nicht aufhören zuzudrücken«, sagte John. »Ich war für das Aufhören zu langsam.«
»SchluÃ!« antwortete der Schädel heiser, »die Schlacht ist vorbei.«
John zitterte immer mehr, aus dem Zittern wurde ein Schütteln, seine Muskeln
zogen sich an wechselnden Stellen zusammen und bildeten schmerzende Inseln, als
wollten sie damit das Innere panzern oder etwas Fremdes herauspressen mitten
durch die Haut. »Die Schlacht ist vorbei!« rief der, welcher vorhin das Zeichen
gesehen hatte. »Wir haben es denen gezeigt!«
Sie steckten neue Bojen aus. Die Dänen hatten alle
Markierungen des Wasserwegs entfernt, damit die englischen Schiffe auf Grund
liefen. Langsam rückte das Beiboot, ganz in der Nähe des zerschossenen und
geborstenen Trekroner, am Rand einer Untiefe vor. John saà teilnahmslos auf der
Ducht und starrte zum Land. Langsamkeit ist tödlich, dachte er. Wenn für
andere, dann um so schlimmer. Er wollte ein Stück Küste sein, ein Uferfelsen,
dessen Handlungen immer genau seiner wirklichen Geschwindigkeit entsprachen.
Ein Ausruf lieà ihn nach unten blicken: im klaren, flachen Wasser lagen
zahllose Erschlagene auf dem Grund, etliche mit blauen Röcken, viele mit geöffneten
Augen nach oben sehend. Schrecken? Nein. Natürlich lagen die da.
Er selbst gehörte ja dazu, stehengebliebenes Uhrwerk, das er war.
Weit mehr gehörte er zu jenen als zu den Bootsgasten. Schade nur um die viele
Arbeit. Er glaubte einen Befehl zu hören, verstand ihn aber nicht. Kein Mensch
verstand nach diesem Kanonendonner einen Befehl. Er wollte um Wiederholung
bitten, glaubte aber dann doch zu verstehen. Er richtete sich auf, stand auf,
schloà die Augen und fiel um, ganz allmählich wie eine zu steil gestellte
Leiter. Als er im Wasser war, fand sich ganz ungebeten die Frage ein: Was wird
Nelson denken? Der Verräterkopf war auch hier zu langsam, er wollte von der
Frage nicht ablassen. So fischten ihn die anderen wieder heraus, bevor er
überlegen konnte, wie man ertrank.
Nachts starrte er geradewegs nach oben und suchte Sagals. Er fand
ihn nicht mehr. Ein Kindergott nur, und jetzt mit untergegangen. John betete
sämtliche Segel von der Fock bis zum Kreuzroyal an die hundert Mal vor und zurück.
Er sagte vom Vorroyalstag bis zu den Kreuzroyal-Parduhnen das stehende und von
der Besanbaumschot bis zur Fockroyalbraà das laufende Gut auf. Er beschwor alle
Rahen von Kreuztopp bis Vortopp. Er machte Klarschiff mit allen Stengen, allen
Decks, Quartieren, Dienstgraden â nur er selbst war unentwirrbar unklar
gekommen. Die Zuversicht war dahin.
»Ich vermute«, sagte Dr. Orme, als sie sich wiedersahen,
»daà du über seinen Tod traurig bist.« Recht langsam sagte er das. John
brauchte seine Zeit, dann begann sein Kinn zu zittern. Wenn John Franklin
weinte, dann dauerte das einen Augenblick. Er heulte, bis es ihm in der Nase
und in den Fingerspitzen kribbelte.
»Du liebst doch das Meer«, begann Dr. Orme wieder. »Das muà nichts
mit Krieg zu tun haben.«
John hörte auf zu weinen, weil er nachdachte. Er studierte dabei
seinen rechten Schuh. Sein Auge folgte unablässig dem schillernden Viereck der
groÃen Schnalle: oben nach rechts, Seite nach unten, unten nach links, Seite
nach oben und kehrte mehr als zehnmal zum Ausgangspunkt zurück. Dann heftete er
den Blick auf Dr. Ormes flaches Schuhwerk, das keine Lasche und keine Schnalle
trug, sondern den Spann freilieà und vorn mit einer Schleife besetzt war.
SchlieÃlich sagte er: »Mit dem Krieg, da habe ich mich geirrt.«
»Wir haben bald Frieden«, sagte Dr. Orme. »Es wird keine Schlachten
mehr geben.«
Zweiter Teil
John Franklin erlernt
seinen Beruf
Sechstes Kapitel
Zum Kap der Guten Hoffnung
Sherard Philip Lound, zehnjähriger Volontär auf der Investigator, schrieb nach Hause. »Sheerness, den
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