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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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Verwaltung! Die freundliche,
gesunde, tröstliche Ann wolltet ihr Matthew nicht genehmigen! Der Kapitän war
weiß vor Zorn. »Nie wieder«, raunte er eigentümlich leise, »nie wieder befolge
ich irgendeine lausige Instruktion von oben! Ich lese so etwas gar nicht erst!«
    Sie liefen aus. Der nächste Ärger wartete schon. Vor Dover schickte
Matthew den Lotsen von Bord und verließ sich auf die Marinekarten. Nach wenigen
Meilen lief das Schiff bei Dungeness auf eine Untiefe. Sie braßten die Segel
back und ließen die Boote zu Wasser. Die Strömung half mit. Binnen kurzem kamen
sie frei. Aber jetzt mußte die Investigator vor der
großen Reise erst noch nach Portsmouth ins Dock. Es mußte nachgesehen werden,
ob sie am Unterwasserschiff Schaden genommen hatte. Matthew machte eine ruhige,
aber in allen Quartieren deutlich hörbare Bemerkung über die Admiralität und
ihre Karten.
    Mr. Colpits dagegen war froh. Er hielt diese Sandbank für die
vorausgesagte und meinte, er könne nun nicht mehr verloren gehen. Mockridge
dachte an andere Dinge. »Portsmouth«, sagte er sinnend, »da kenne ich eine
Menge Mädchen.« Sein Fernauge war bereits deutlich auf sie gerichtet. Stanley
Kirkeby stimmte zu und teilte mit, dies habe der Doktor verschrieben. Sein
Bruder Olof schwieg. Er urteilte stets erst im nachhinein. Jedes »tierisch gut«
setzte eine genaue Prüfung voraus. Außerdem war noch nicht sicher, ob die
Mannschaft überhaupt in die Stadt durfte.
    John Franklin wollte sein wie jeder andere Mann. Deshalb
hörte er bei Gesprächen über Frauen gut zu. »Ich mag sie mit etwas breiteren
Hüften«, sagte der Stückmeister. Bootsmann Douglas wiegte das Haupt. »Kommt
drauf an, kommt drauf an.« Der Gärtner hatte wieder eine andere Meinung.
Offenbar führte sich ein jeder sehr sorgfältig vor Augen, was ihm die
Erinnerung anbot. John interessierte sich vor allem für das praktische
Vorgehen. Er ging zu Mockridge und stellte einige wohlüberlegte Fragen nach dem
Wann und Wie. Auch hier war die Antwort meist ein »je nachdem«, aber John blieb
hartnäckig. »Zieht der Mann die Frau vorher aus?« fragte er. Mockridge dachte
außergewöhnlich lange nach. »Mir macht es Freude so«, sagte er, »aber du bist
der Freier, es wird gemacht, wie du es haben willst!« Wie Mockridge es machte,
so war es sicher üblich. John hegte allerdings noch Bedenken wegen der vielen
Knöpfe. »Wo geknöpft, gegürtet und geschnürt ist, mußt du dann selbst sehen.
Und vergiß nicht: mach gröbere Komplimente nur bei älteren Frauen! – Hast du
Angst?« Die hatte John, und deshalb begann er ganz gegen seinen Instinkt davon
zu reden, daß er schließlich vor Kopenhagen einen Soldaten mit der bloßen Hand … Er schämte sich sofort. Mockridge schaute milde mit seinem Fernauge auf John
und richtete das scharfe, sprechende nur auf den eigenen Pfeifenkopf. »Wenn du
erst bei einer Frau gelegen hast, wirst du Kopenhagen vergessen können!«
    An Land wollte sich John alle Frauen anschauen und versuchen, ihre
Kleider auswendig zu lernen. Aber es gab so viel zu sehen, daß er sein Ziel
fast aus den Augen verloren hätte. Die Stadt quoll über von lauter Matrosen, so
viel Jugend auf einmal gab es nirgends auf der Welt, und er gehörte dazu. Er
hatte auch eine Uniform an, und wenn er einfach so dastand, war er einer von
ihnen. Freilich konnte er nicht tanzen, und es wurde viel getanzt.
    Das Rathaus konnte er nicht genug ansehen, es war ein schmales
Gebäude mitten in einer Hauptstraße, von Fuhrwerken umdrängt. Dann gab es einen
Semaphor-Turm am Hafen, der mit vielerlei Armen winkte und die Befehle der
Londoner Admiralität empfing oder bestätigte. Zum ersten Mal saß John in einer
Seemannskneipe. Der Wirt fragte ihn, was er bestellen wolle, und er las einen
der Namen ab, die über der Theke standen: Lydia. Alles lachte, denn das war der
Name eines Schiffes aus Portsmouth. Die standen hier ebenso feierlich
verzeichnet wie die Getränke.
    Gestärkt durch einen Luther und Calvin wandte er sich wieder den
Frauen zu. Die Kleider waren recht verschieden. Gemeinsam war ihnen nur der
respektable, bedrohlich emporwachsende Bug des Mieders. Welches stehende oder
laufende Gut sich dahinter verbarg, war nicht leicht auszumachen. Alles kam auf
eine Probe an. Mockridge brachte ihn zu einem

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