Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
Vom Netzwerk:
die
sich vor der See nicht fürchteten, auf einem einzigen Schiff versammelt. Die
Zwillingsbrüder Kirkeby kamen aus der Stadt Lincoln und waren berühmt für ihre
Muskeln. Ein vollbeladenes Fuhrwerk hatten sie mit eigener Hand – die Ochsen
waren zusammengebrochen – über den Steep Hill bis zur Kirche hinaufgezogen. Die
beiden sahen sich sehr ähnlich, man konnte sie nur an ihren Redensarten unterscheiden.
Stanleys Kommentar lautete gewöhnlich: »Das ist, was der Doktor verschrieben
hat!« Olof sagte nur: »Tierisch gut!« – über das Wetter, den Tabak, die getane
Arbeit oder die Frau des Kapitäns –, »tierisch gut«.
    Dann gab es Mockridge, den schielenden Steuermann mit der Tonpfeife.
Er hatte ein sprechendes und ein aufnehmendes Auge. Blickte John ins
aufnehmende, dann verstand er oft die Worte, bevor sie heraus waren. Meistens
war es aber sicherer, ins sprechende zu sehen.
    Mr. Fowler und Mr. Samuel Flinders waren Leutnants und hochfahrend
wie so viele dieser Gattung. Die Mannschaft nannte sie die Luvs, weil sie gerne
Wind machten.
    Vierundsiebzig Mann, drei Katzen und dreißig Schafe
bevölkerten das Schiff. Nach zwei Tagen kannte John alle, auch die Schafe und
besonders die Wissenschaftler: einen Astronomen, einen Botaniker und zwei
Maler. Jeder hatte seinen eigenen Diener. Nathaniel Bell war ebenfalls Midshipman
und keine zwölf Jahre alt. Er litt an schwerem Heimweh schon auf der Reede von
Sherness, obwohl seine drei älteren Brüder dabeiwaren und ihm gut zuredeten.
Selbst der vertraute Geruch, den die Schafe verbreiteten, half ihm nicht – er
vergrößerte das Leiden nur noch.
    Schafmist konnte nach der Meinung von Mr. Colpits von großem Nutzen
sein: »Für das Stopfen kleinerer Lecks das Beste, was man haben kann«,
verkündete er düster. »Wir müssen allerdings mit größeren rechnen.«
    Die Investigator war ein Kriegsschiff.
Daher gab es auch zehn Seesoldaten und einen Trommler. Sie wurden von einem
Korporal kommandiert, und dieser wieder von einem Sergeanten. Bereits im Hafen
exerzierten sie fleißig und marschierten so lange auf dem Deck hin und her, bis
sie mit dem Quartiermeister aneinandergerieten. Mr. Hillier ließ wissen, er
brauche den Platz für wichtigere Arbeiten. Das Hieven und Verstauen der Vorräte
war eine Tätigkeit nach Johns Geschmack. Wohin steckte man die zwei
Ersatzruder? Wohin fünfzig Erdkästen für Pflanzenproben? Stimmte es, daß Zwieback
und Pökelfleisch für anderthalb Jahre reichen würden und der Rum für zwei? John
rechnete nach. Die Bücher in der Kajüte boten, wenn man die »Encyclopedia
Britannica« mitrechnete, Lesestoff für ein gutes Jahr. Wohin mit den Geschenken
für die Eingeborenen: 500 Äxte und Krummbeile, 100 Hämmer, 10 Fässer mit
Nägeln, 500 Taschenmesser, 300 Scheren, zahllose farbige Guckgläser, Ohr- und
Fingerringe, Glasperlen, bunte Bänder, Nähnadeln mit Faden und 90 Medaillen mit
dem Bild des Königs – alles war in doppelt geführten Listen genau verzeichnet,
und Mr. Hillier wußte im Schlaf, wo es zu finden war. Die Kanonen hatte Matthew
zum Teil durch leichte Karronaden ersetzt, und sogar die ließ er dort
verstauen, wo sie am wenigsten im Wege standen. Als Mr. Colpits’ Gesicht so
aussah, als wolle er dazu eine Bemerkung machen, kam ihm Matthew zuvor: »Wir
sind Forscher! Wir bekommen einen Paß von der französischen Regierung.«
    Der erste Ärger! Matthew war eine Zeitlang aus gutem Grund
nicht ansprechbar, und alle gingen ihm aus dem Wege, Wissenschaftler,
Midshipmen und Katzen, sogar der Koch.
    In Sheerness hatten zwei hohe Offiziere der Admiralität das Schiff
besichtigt. Die meisten von Matthews Wünschen waren so weit erfüllt worden:
nahtneue Segel wanderten als riesige Würste in die Takelage hinauf, frisches
Tauwerk aus gutem baltischem Flachs wurde eingeschoren, wo das alte brüchig
war. Der Bug glänzte von Kupfer bis über die Klüsen, denn mit Eisfeldern war zu
rechnen. Da aber sahen die hohen Herren auf einer Leine Frauenwäsche hängen.
Eine Frau an Bord? Auf einer so langen Reise? »Unmöglich!« sprachen sie, und
Ann, gegen die niemand in der Mannschaft etwas hatte, mußte das Schiff
verlassen. Dabei waren doch sonst auf Schiffen, die nicht gerade ins Gefecht
zogen, Frauen sehr wohl geduldet. Ihr Helden der

Weitere Kostenlose Bücher