Die Entdeckung der Langsamkeit
die
Schiffsmasten. Er blieb unten stehen, sah noch einmal hinauf und ging dann
weiter. Er durchwanderte die Stadt und dachte über die menschlichen
Geschwindigkeiten nach. Wenn es stimmte, daà einige Menschen von Natur langsam
waren, dann sollten sie auch so sein. Es war ihnen wohl nicht aufgegeben, so zu
werden wie die anderen.
Froh setzte er sich an Dr. Ormes Abendbrottisch. Die Welt sollte so
sein, wie sie war! Jetzt hätte es noch Sülze geben müssen. Aber woher sollte
die schnelle Haushälterin das ahnen?
John wollte Dr. Orme fragen, ob es in Zukunft wirklich zu keinen
Kriegen mehr kommen würde. Bisher sah es nicht danach aus. Vielleicht herrschte
aber nach dem Sieg über Napoleon ein ewiger Friede? John zögerte seine Frage
hinaus, warum, wuÃte er nicht.
Dr. Orme sprach von weiteren Apparaten, die er bauen lassen wollte.
»Genaues läÃt sich noch nicht sagen. Das muà noch mehr durchdacht werden.«
Beiläufig berichtete er von einem irischen Bischof, der eine Theorie der Wahrnehmung
entworfen hatte, dem Bischof von Cloyne: »Er stellte sich die ganze Welt mit
allen Menschen, Dingen und Bewegungen als etwas nur Scheinbares vor. Sie war
somit eine Geschichte, die Gott den Gehirnen mit Hilfe künstlicher
Sinneseindrücke erzählte, vielleicht nur einem einzigen, dem des Bischofs von
Cloyne. Am Ende gab es nur sein Gehirn, seine Augen und Nerven, und die Bilder,
die Gott ihm schickte.«
»Warum sollte der das tun?« fragte John.
»Der Sinn der Schöpfung ist den Menschen nicht bekannt«, antwortete
der Lehrer. »AuÃerdem muà eine gute Geschichte keinen Zweck haben.«
»Wenn er alles vorspiegeln kann«, überlegte John, »warum ist er dann
mit Wundern so sparsam?«
Da war Dr. Orme überfragt. Er erzählte, was ihn an der Sache
interessierte: mit was für einem Apparat Gott, wenn der Bischof recht hätte,
dem menschlichen Gehirn solche Bilder eingeben könnte. »Natürlich ist das nur
ein Hilfsgedanke«, sagte er. »Gottes Methoden sind nicht wirklich
erforschlich.«
Immer noch hielt eine Sorge John davon ab, nach dem Frieden zu
fragen. Er liebte Dr. Orme als einen Menschen, der nicht viel von Gott redete,
wenn es etwas zu erklären gab. John wollte, daà das so blieb.
Dr. Orme kam von selbst darauf. Die Menschheit werde lernen, meinte
er. Sie lerne etwas langsamer, als er angenommen habe. »Es liegt daran, daà die
Tüchtigen ständig versuchen, das wenige von der Welt zu verändern, was sie
kennen. Eines Tages werden sie die Welt entdecken, statt sie zu verbessern. Und
nicht mehr vergessen, was sie schon entdeckt haben.«
Lange Sätze über die Welt mochte John nicht, aber er fand es in
Ordnung, wenn kluge Leute wie Dr. Orme oder Westall im Gespräch mit ihm dahin
kamen, sie zu formulieren.
Hoffentlich schrieb Dr. Orme sich das auch auf.
»Zum Vergessen fällt mir etwas ein«, sagte John. »Ich habe mich in
eine Frau verliebt und mit ihr geschlafen, aber schon jetzt ist mir ihr Gesicht
völlig entfallen!«
Es folgte eine kleine Unterbrechung, weil Dr. Orme seine Tasse aus
Versehen auf den Rand der Untertasse stellte.
Für Mary Rose blieb keine Zeit mehr. John hatte sich auf
der Bellerophon einzufinden, die vor der
Themsemündung lag, weit weg von Portsmouth. Auf dem Boot nach Sheerness sprach
er mit einem Leutnant, der das Abzeichen eines Commanders trug, einem hageren
Mann mit dunklen Augen und langer, spitzer Nase. Sie sah aus, als wäre einer
gewöhnlichen Nase noch eine zweite zur Verlängerung aufgesetzt worden. Der Leutnant
hieà Lapenotière und sprach auÃergewöhnlich schnell. Er kommandierte den
Schoner Pickle, eines der kleinsten Schiffe der
Kriegsmarine und meist mit Spähaufträgen an der französischen Küste eingesetzt.
Die Leute von der Pickle erkundeten Festungsanlagen
und fingen Wachboote ein. Der Commander war berühmt für seine Fähigkeit,
Gefangene auszuhorchen. »Als Franzose bringen Sie dafür einiges mit«, sagte ein
anderer Offizier.
»Ich bin Engländer!« entgegnete Lapenotière ungnädig. »Ich kämpfe
für die guten Leidenschaften der Menschheit und gegen die schlechten.«
»Welches sind die guten?« fragte der andere Offizier.
»Glaube und Liebe.«
»Und die schlechten?« fragte John.
»Gleiche Freiheit für alle, GröÃenwahn der Logik
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