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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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die Länge aller Flußstrecken nach Pfeifen. Wenn
sie das aber taten, mußten sie auch rauchen, sonst stimmte ihr Maß nicht mehr.
    Als man dann wenigstens einmal, auf dem Flusse Echiamamis, mit der
Strömung fahren konnte und gut vorankam, wollten plötzlich die Indianer nicht
weiter: Ihre Seelen seien noch nicht nachgekommen, sie müßten warten.
    John verstand Backs Drängen, mahnte ihn aber unter vier Augen, sich
an das zu halten, was hierorts üblich sei. Zudem konnte Back keine Langeweile
aushalten, und vor allem wollte er selbst um keinen Preis langweilig sein. Er
war ein Unterhalter, er suchte stets eine Pointe, auch wenn sie verwundete. Er
verstand nicht, daß es auf so weiten Reisen mehr auf Gerechtigkeit ankam.
    John fing an, den anderen Midshipman, Robert Hood, sehr viel
angenehmer zu finden.
    Hood war, wie Back, im Zeichnen und Malen ausgebildet und sollte
alles in Skizzen festhalten, was irgendwie von Belang war. Aber was war von
Belang? Hood war ein träumerischer, stiller Mensch. Er beschäftigte sich nicht
mit dem eigentlichen Ziel der Reise, sondern mit allem, was seine Phantasie
anregte: Lichtreflexe im flachen Wasser einer Flußbiegung, die zerklüftete Nase
eines Voyageurs, die Figur eines Vogelschwarms. Back verspottete ihn oft, und
Hoods Gutmütigkeit stachelte ihn nur noch mehr an. John sah, daß Hood nicht der
schnelle Mann war, den er zu seinem Ersten Offizier machen konnte. Aber er war
ihm selbst von allen am ähnlichsten, und deshalb glaubte er an ihn am meisten.
    Ende Oktober waren sie in Cumberland House. Hier mußten
sie nun bleiben, denn die kleineren Flüsse waren bereits dick zugefroren. Der
örtliche Statthalter der Company wies ihnen einen Rohbau an, den sie
fertigbauen und für die Überwinterung ausrüsten konnten. Den Kamin errichtete
Hood, darin kannte er sich aus. »Er ist ein Feuermacher«, sagten die
Kri-Indianer, die ihn von allen Europäern am meisten schätzten. Sonst hielten
sie vom weißen Mann wenig. Gewehrkugeln hatten ihren einst mächtigen Stamm
dezimiert, und der Alkohol hatte den Rest unbarmherzig am Genick.
    Â»Die Macht der Weißen wird immer noch wachsen«, sagte einer der Kri
zu Robert Hood, »niemand wird sie aufhalten können. Sie werden erst zugrunde
gehen, wenn sie alles zerstört haben. Dann nämlich werden die Krieger des
Großen Regenbogens sie wegjagen und alles wieder machen, wie es war.«
    Â»Ich zerstöre nichts«, entgegnete Hood leise, »ich möchte nicht
einmal Spuren hinterlassen. Höchstens ein paar Bilder.«
    So saßen sie jeden Abend am Kaminfeuer: der ledergesichtige
Doktor, in der Bibel lesend, der schwere, schläfrige Hepburn und der schmale
Hood, der stets beim Nachdenken blinzelte und den Mund öffnete, ohne ein Wort
zu sagen.
    Es wurde deutlich, daß niemand George Back so recht mochte. Der
schöne Mensch, der immer überraschen wollte, hatte bald alle gegen sich, ohne
daß dies offen ausgesprochen wurde. Eben darum rückte er noch näher an John
heran. Er teilte mit, bewunderte, wollte selbst gelobt werden. Es war wie ein
Angebot: er wollte für seine Bewunderung etwas zurückhaben. Da aber nur Taten
es waren, gegen die er Franklins Anerkennung eintauschen konnte, wurde er immer
nervöser. Großes konnte hier im Winterlager nicht vollbracht werden.
    Als sie zur Tee-Einladung des örtlichen Geschäftsträgers unterwegs
waren, sagte Back über die knirschenden Schneeschritte hinweg zu ihm: »Sir, ich
liebe Sie nun einmal. Wenn das ein Problem ist, so ist es doch keine
Katastrophe.« Er sagte das so – scherzhaft! John merkte, wie er ärgerlich rote
Ohren bekam und auf eine Antwort sann, die alles mit einem Schlage beenden
konnte. Aber das hätte zu nichts geführt. John kannte sein Gehirn. Bei allzu
schnellen Reaktionen konnte es Haken schlagen, die ihm nicht aufgegeben waren.
Ruhe und Vorsicht also!
    Die Schritte knirschten, der Atem nebelte. Sie waren schon fast beim
Blockhaus des Geschäftsträgers. »Eine Katastrophe ist es sicher nicht«, sagte
John, »aber mir wäre lieb, wenn Gutes daraus würde. Sie übertreiben zu sehr,
Mr. Back. Müssen Sie das?« Er verlangsamte den Schritt, weil für solche Sätze
die Tür des Gastgebers sich zu schnell näherte. Es fiel ihm noch ein Merksatz
ein, den er vom Schäfer in Spilsby wußte: Zwischen Übertreiben und

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