Die Entdeckung der Langsamkeit
lange, dann schob er die Schrift beiseite.
»Nein!« sagte er stolz und zugleich traurig. »Er hat sich da etwas ausgedacht!«
Wenn der Lehrer noch erfahren hätte, was John jetzt konnte und tat,
er hätte alles anders geschrieben. Wenn ein Langsamer es entgegen den
Voraussagen schaffte, mit einem schnellen Beruf zu leben, dann war er besser
als die anderen.
Er wandte sich wieder dem Franklinschen System zu. Erste
Gesichtspunkte standen schon im Strafenbuch:
»Ich bin der Kommandant und lasse daran nie einen Zweifel, vor allem
nicht bei mir selbst. Meiner Geschwindigkeit müssen sich, weil sie die
langsamste ist, alle anderen anpassen. Erst wenn in diesem Punkt Respekt
geschaffen ist, können Sicherheit und Aufmerksamkeit einkehren. Ich bin mir
selbst ein Freund. Ich nehme ernst, was ich denke und empfinde. Die Zeit, die
ich dafür brauche, ist nie vertan. Dasselbe gestehe ich auch den anderen zu.
Ungeduld und Angst werden nach Möglichkeit ignoriert, Panik ist streng verboten.
Bei Schiffbruch müssen immer zuerst gerettet werden: KARTEN,
BEOBACHTUNGEN UND BERICHTE, BILDER .«
Fast jeden Tag trug er jetzt weitere Sätze dazu ein. Der letzte
hieÃ: »Die langsame Arbeit ist die wichtigere. Alle normalen, schnellen
Entscheidungen trifft der Erste Offizier.«
Sie fuhren nach England zurück mit mühsam ausgebesserten
Schiffen und waren froh, überhaupt noch anzukommen. Die Arbeit an den Pumpen
war härter als auf der Hinfahrt.
Vielleicht war das offene Meer am Pol ein Märchen. John hielt das
aber noch nicht für bewiesen.
London empfing sie mit groÃem Jubel. Tatsächlich glaubten hier alle,
sie kämen direkt von den Sandwich-Inseln.
Buchan und Franklin erstatteten Sir John Barrow in der Admiralität
einen ersten Bericht. Buchan lobte John sehr, und der wuÃte kaum, wo er dabei
hinsehen sollte.
»Und nun, Mr. Buchan?« fragte Barrow. »Sie wollen sicher möglichst
bald wieder ins Eis.«
»Nicht unbedingt«, entgegnete Buchan. »Um in dieser Gegend eine
halbe Ewigkeit herumzukreuzen, muà man Männergesellschaft mehr lieben als ich.«
»Und Sie, Mr. Franklin?«
John dachte über Buchans letzte Bemerkung nach und war etwas
erschrocken, weil Barrows Frage nun noch eine Nebenbedeutung bekommen hatte,
für die er mehr Zeit brauchte. Verwirrt brachte er daher nur heraus: »O doch.
Ich ja!«
»Gut«, meinte Barrow gedehnt und belustigt, »dann habe ich
wahrscheinlich ein neues Kommando für Sie.«
Noch am selben Nachmittag erschien John Franklin bei
Eleanor Porden und machte ihr in gut vorbereiteten Sätzen einen Heiratsantrag.
Sie fühlte sich bedrängt und geschmeichelt, wechselte aber zunächst das Thema
und fragte nach dem polaren Magnetismus. »Eigentlich«, sagte sie, »habe ich nur
darüber Neuigkeiten erwartet.«
Was John in puncto Magnetismus zu bieten hatte, erschien ihm selbst
nicht als befriedigend. Er kam daher auf seinen Antrag zurück. Eleanor sah ihn
plötzlich so erwachsen an. Sie sagte: »Ich glaube, Sie wollen irgend etwas
beweisen.«
Sie lehnte, »aus Langsamkeit«, wie sie sagte, vorerst ab. John
dachte nach und beschloÃ, daà ihm das ganz gut gefiel. Abends fand er sich bei
einer nicht eben billigen Hafenhure wieder, die von John, statt ihn sofort sein
Wichtigstes beweisen zu lassen, erst alles über Kamtschatka und ihre dortigen
Kolleginnen wissen wollte.
»Klar warst du dort!« drängte sie immer wieder. »Klar warst du dort,
du willst bloà nichts erzählen! Stur wie alle Offiziere!«
Dreizehntes Kapitel
FluÃfahrt zur arktischen Küste
Diesmal war John Franklin alleiniger Befehlshaber der
Expedition, nicht aber Kommandant eines Schiffes, denn es sollte eine Landreise
werden. Mit ihm fuhren der Arzt Dr. Richardson, die Midshipmen Back und Hood
sowie der Seemann Hepburn. Träger, Führer, Jäger und Nahrungsvorräte sollten
sie in Kanada von den königlichen Pelzhandelsgesellschaften bekommen.
Am Sonntag Exaudi des Jahres 1819 verlieÃen sie auf der Prince of Wales, einem kleinen Schiff der Hudsonbaigesellschaft,
die Reede von Gravesend. John hatte sich auf alles vorbereitet, was die
Phantasie nur ausdenken konnte. Er hatte sogar das Marschieren geübt und die
durchschnittliche Länge seiner Schritte zwischen zwei Londoner Meilensteinen
gemessen, ferner seinen Kompaà mit einem ausklappbaren Daumenring
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