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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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Expedition beitrug als die andere. Die Orders der
Londoner Gouverneure waren hierzulande bloßes Papier, es war ein weites Land.
Überdies hielten die Pelzhändler und die Beamten von wanderlustigen
Seeoffizieren nicht das geringste. Das waren für sie nur arme, ahnungslose
Helden. Zu Fuß und im Birkenrindenkanu wollten die an der Nordküste entlangpilgern?
»Sie werden das Polarmeer nie erreichen!« sagte einer in Backs Hörweite. »Und
wenn doch, dann wird der erste Überfall der Eskimos sie auslöschen. Wozu ihnen
noch Vorräte mitgeben, wenn man selber knapp dran ist?«
    Und John hörte einen Scherz, der wohl derb anerkennend klingen
sollte, aber vermutlich einen anderen Hintergrund hatte: »Sie waren ja vor
Trafalgar dabei, Sie werden es schon schaffen! Wenn nicht mit dem Kopf, dann
mit Charakter!«
    Back regte sich immer mehr auf. Er konnte nicht mitansehen, wie
Franklin die Bescheide dieser örtlichen Machthaber erst einmal höflich
akzeptierte, bevor er erneut nachfragte. Back merkte, wie über Franklin gelacht
wurde, er fürchtete wohl, etwas davon abzubekommen. Als sie allein waren, hielt
er eine große Zornesrede, wie er sie, wäre er John Franklin, den leitenden
Beamten gehalten hätte. Der Satz: »Wir wissen doch, was gespielt wird!« kam
mehrere Male vor. Auch das mußte John sich nun also anhören. Er versuchte Back zu
beruhigen: »Sie müssen sich auch auf Spiele einlassen können, bei denen Sie
verlieren können. Daß man uns verspottet, ist belanglos. Ich habe es nie anders
erlebt. Nie ist es dabei geblieben.« »Aber Sie sind zu gutmütig!« rief Back,
»Sie lassen sich zu viel gefallen!« John nickte und dachte nach. Dann sagte er:
    Â»Ich bin über zehn Jahre älter als Sie. Ich habe gelernt, immer so
lange dumm auszusehen, bis ich klug bin. Oder bis die anderen noch dümmer
aussehen als ich. Glauben Sie mir das!«
    Back war schwer zu trösten. John ahnte, daß es ihm auch jetzt
eigentlich wieder um etwas anderes ging und nicht um das, was er aussprach.
    Da war ihm Hepburn als Gesprächspartner lieber, ein Mann, der treu
war und dabei nicht murrte. Mit ihm brauchte er sich nie anders als aus freien
Stücken zu befassen. Auch wenn er mit Hepburn tagelang kein Wort sprach, blieb
alles in Ordnung.
    Ein Commander war wie ein Arzt: der Gesunde war ihm am liebsten,
aber die meiste Zeit mußte er für den Kranken aufbringen, je kränker, desto
länger.
    Im Juni kamen Richardson und Hood auf dem Wasserwege mit
den Booten nach. John hatte in schier endlosen Verhandlungen die Beamten
umgestimmt, und vielleicht hatte Back dabei ein wenig gelernt. Es war eine
Zermürbungstaktik, die aus äußerster Höflichkeit, ständiger Wiederholung immer
derselben Argumente und dem völligen Ignorieren jeden Zeitgefühls bestand.
Niemals hatte er irgend jemandem unterstellt, er wolle in Wahrheit gar nichts
für die Expedition tun. John lehnte es ab, Heuchelei durch Vorwürfe zu beenden:
er wußte, daß er dieses Spiel länger spielen konnte als die anderen. Er
behandelte Simpson, diesen Schurken, stur weiterhin als Freund und Förderer und
wurde ihm dadurch so lästig, daß plötzlich doch Verpflegung für mehrere Wochen
und ein gutes Dutzend Voyageurs zur Verfügung standen. Es sollte noch einmal
die doppelte Menge Nahrungsmittel nach Fort Providence nachgeschickt werden,
John hatte es schriftlich. Er versicherte Simpson mit kräftigem Handschlag und
ohne mit der Wimper zu zucken, seine edle und menschliche Haltung werde in
England gerühmt werden.
    Jetzt ging es den Sklavenfluß abwärts nach Norden, man war
auf der Reise zur Küste. Die Strecke von Fort Chipewyan nach Fort Providence am
Großen Sklavensee betrug nur rund neunzig Pfeifen. Zwei Tage brauchten sie, um
den See zu überqueren, oft ganz außer Küstensicht. Ein heftiger Wind zwang sie,
auf einer Insel Schutz zu suchen. Es war ein Vorgeschmack auf die Kanureise,
die sie im arktischen Meer vorhatten. Fort Providence lag am Nordufer an einer
Bucht, deren äußerstes Ende die Mündung des Gelbmesserflusses bildete. Der
Stützpunkt gehörte der Nordwestgesellschaft. Sie gab der Expedition immerhin
den Beamten Wentzel mit, Friedrich Wentzel, einen Deutschen, der einige
Indianerdialekte sprach. Wenn es nicht gelang, die Unterstützung der Indianer
zu erhalten, würde man die Expedition abblasen

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