Die Entdeckung des Himmels
vor allem Politiker, Musiker, Sprachwissenschaftler und ein Astronom, waren unter sich. Es wurden komische Tischreden gehalten und Trinksprüche ausgebracht, die Onno mit aufgeblasener Selbstgefälligkeit genoß, während er einen herrschsüchtigen Arm um Adas schmale goldene Schultern legte. Als jemand auf seine bevorstehende Vaterschaft anspielte, rief er aus:
»Ich bin verheiratet mit der Tochter der Großmutter meines Kindes!«
»Ist das denn was Besonderes?«
»Das hörst du doch!«
Einige Male begegnete Max einem fragenden Blick: Sollte er, als Busenfreund, nicht auch das Wort ergreifen? Aber er machte nur eine kleine abwehrende Geste mit der Hand und schüttelte den Kopf. Er sollte lieber den Mund halten. Wenn etwas schiefging, dann würde alles, was er jetzt gesagt hätte, nur noch wie zusätzlicher Hohn klingen. Vielleicht würde seine Schweigsamkeit als ein Beweis des guten Geschmacks aufgefaßt werden, weil die Braut einmal seine Freundin gewesen war – oder als ein Zeichen des Unmuts, weil er nicht selbst der Bräutigam war, aber damit mußte er sich nun abfinden.
Auch nach dem Kaffee floß der Alkohol munter weiter, man tauschte die Plätze, und endlich vermischte sich die Gesellschaft. Spröde Sprachwissenschaftler und tölpelhafte Politiker ließen merken, daß auch sie etwas von Musik verstanden, und zerbrechliche Musiker, daß sie von Sprachwissenschaft keinen Schimmer hatten, sich auch nicht für Politik interessierten, während Politiker den Linguisten versicherten, daß eigentlich sie die wahren Sprachwissenschaftler seien, denn sie arbeiteten mit nichts anderem als mit Worten, so daß genau betrachtet für die Sprachwissenschaftler nichts mehr übrigbliebe. Was sie hier eigentlich täten? Onno habe das doch auch eingesehen! Woraufh in die Linguisten sich erkundigten, ob sie denn schon ihren Standpunkt zum Düngemittelüberschuß gefunden hätten. Während die Stimmung stieg, das Geräuschvolumen zunahm und jemand irgendwo mit Stentorstimme »Wacht auf, Verdammte dieser Erde!« sang und brüllte, daß das doch viel schöner sei als Schuberts Erlkönig, hatte Max zum ersten Mal Gelegenheit, einige Worte mit Ada zu wechseln. Er hatte gesehen, daß sie nur Wasser trank. »Gut«, sagte sie, als er fragte, wie sie sich fühle. »Und du?«
»Ich fühle mich wie jemand, der auf eine Landmine getreten ist und ein Klick gehört hat: er weiß, daß er in die Luftfliegt, wenn er noch einen einzigen Schritt macht.«
»Warte doch einfach ab. Es hat keinen Sinn, dich so fertigzumachen. Die Chance, daß alles in Ordnung kommt, ist genauso groß.«
»Die Hochzeit, diese ganzen Leute hier, die Feier, Ada – und nur du und ich wissen, daß vielleicht alles nur Lug und Trug ist, Unsinn, Schwindel. Wie kannst du nur damit leben?«
»Ich lebe mit meinem Kind.«
»Wenn ich an Onno denke –.«
»Sei still, da kommt er.«
Mit einem vollen Glas Cola-Rum in der Hand betrachtete Onno ihn von Kopf bis Fuß. »Wenn ich deine bedauernswerte Erscheinung sehe, muß ich an die furchtbare Zeit zurückdenken, als ich noch Junggeselle war. Was für eine Schreckensvision! Vor meinem geistigen Auge erscheint eine desolate Landschaft mit einem einzigen verdorrten Baum im peitschenden Sturm, gegen den sich ein einsamer, gebeugter Pilger mit einem langen Wanderstab vorankämpft, auf dem Weg zu seinem schauerlichen Ende. Und jetzt schau mich an«, sagte er und streckte die Brust heraus. »Ich habe die höchste Ebene menschlicher Verwirklichung erreicht: die Ehe! Mein Fleisch duftet wie eine Rose von Saron, denn ich bin vermählt! Wie eine Lilie unter den Dornen, so bin ich unter den Söhnen. Meine Lippen tropfen von Honigtau, meine Triebe sind ein Paradies edler Granatäpfel, denn ich bin vermählt! Ich bin ein verschlossener Garten, ein versiegelter Brunnen!« rief er und wies, angespornt durch die plötzliche Stille, auf Ada. »Siehe, wie bist du schön, meine Braut! Deine Augen sind gleich der Sonne, die aufgeht über den Anglern, die morgenblaß mit ihrer Kiste Würmer aus der Stadt radeln. Deine Stimme ist das Gezirp der ersten Vögel in der Dachrinne. Dein Haar glänzt wie das Öl, das im gewaschenen Licht des Morgens überall dort auftaucht, wo Autos geparkt haben. Deine Zähne sind wie die Milch, die die Schulkinder in der großen Pause schlürfen, deine Lippen wie die scharlachrote Blutlache der am Mittag überfahrenen Dame. Du bist über und über schön, meine Braut! Dein Lachen gleicht dem Blattgold der Sirene
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