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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Verstimmung war nicht ganz unverständlich. Solche Dinge kamen in Den Haag nicht vor. Jeder an diesem Tisch wußte natürlich, wer Max’ Vater, und also auch, wer seine Mutter gewesen war. Man wußte hier alles – außer, wer er selbst war. Onnos Bruder Menno, etwa zehn Jahre älter als er und Groninger Juraprofessor, bot ihm freundlich einen Stuhl an, und als er sich setzte, spürte er die Schwere dieser Familie. Er selbst hatte niemanden mehr auf dieser Welt, Verwandtschaft war für ihn etwas aus grauer Vorzeit, aber hier war nun eine Macht versammelt, durch die er plötzlich auch Onno besser verstand. Das hier war das, wogegen er sich wehrte, jedoch mit der Kraft ebender Familie, deren Teil er unwiderruflich war. 
    »Nun, Herr Delius«, fragte Diederic, der Gouverneur, verschränkte die Arme und lehnte sich zurück, »sind Sie auch so erbaut von der Zeremonie?« Er war Anfang Fünfzig; Antonia, seine Frau, auch sie eine ziemlich angsteinflößende Matrone, war offenbar schon an die Sechzig und hätte fast Adas Großmutter sein können.
    Entsetzt wurde Max klar, daß auch hier wieder eine Phase der Doppeldeutigkeit und Verheimlichung angebrochen war, auch hier konnte er nicht einfach er selbst sein, ohne ständig an etwas zu denken, das er nicht äußern durfte. 
    »Ich finde, es war ein origineller Einfall von Onno, dieses Stück aus der Bataafse Republiek. Vor allem, wenn man an die heutigen politischen Zustände denkt.«
    »Nur ist die Ehe so natürlich nicht gültig«, sagte der Generalstaatsanwalt. Er war untersetzt und ein wenig aufgedunsen und hatte strähniges, schütteres Haar und zwei listige blaue Augen. »Der Standesbeamte wird vermutlich zurücktreten müssen.«
    »Du lieber Gott, Coen«, sagte Dol, »mach dich doch nicht lächerlich.« Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit ihrer grobschlächtigen Schwester Trees, war eher zierlich und hatte ein offenes, sympathisches Gesicht; offenbar hatte sich in ihr die eine oder andere verfeinernde Vorfahrin herausgemendelt. Max begriff sofort, weshalb sie Onnos Lieblingsschwester war. 
    »Zurücktreten«, brummte Coen, »zurücktreten.«
    »Nimm noch ein Glas Champagner«, schlug Dols Mann vor, der Karel hieß und Gehirnchirurg an einem Rotterdamer Krankenhaus war, wie Max von Onno wußte. Auch er fiel aus dem Rahmen mit seinen scharfen, mageren Zügen, die ihm das Aussehen eines diabolischen Gelehrten aus dem Geschlecht der Frankensteins verliehen, denen es ein Genuß zu sein schien, die Welt zu vernichten. 
    »Zurücktreten«, wiederholte Coen noch einmal, worauf Mennos Frau Margo laut loslachte. »Das geht hier ja fast zu wie beim Clan der Paten«, sagte sie. 
    »Sind Sie auch so ein linker Vogel wie Onno, Herr Delius?« fragte Trees. »Bestimmt nicht, oder? Sie haben doch hoffentlich einen guten Einfluß auf ihn?«
    »Natürlich«, sagte er. »Für mich gibt es nur das Höhere. Ich bin Astronom.«
    »Ach, wirklich?« Onnos Mutter beugte sich vor. »Sie können also die Zukunft vorhersagen?«
    »To«, sagte der alte Quist, »sei still.«
    »Absolut«, sagte Max. »In mancher Hinsicht zumindest. Zum Beispiel, wann wieder eine Sonnenfinsternis eintreten wird. In anderer Hinsicht jedoch nicht.«
    »In welcher denn nicht?«
    »Zum Beispiel, ob ein Brief eintreffen wird, in dem steht, daß Sie eine große Reise machen werden.«
    »Wie schade.«
    »Ja, da haben Sie recht.«
    »Ich wäre so gerne einmal auf die Galapagos-Inseln gefahren«, sagte Frau Quist verträumt und sah ihren Mann an. »Dort scheinen ja lauter merkwürdige Tiere zu leben. Weißt du noch, Henk, die vielen Schildkröten in Surinam?«
    Quist nickte. »Das war neunzehnhundertsiebenundzwanzig.«
    »Sie waren damals völlig durcheinander. Sie hatten am Strand ihre Eier abgelegt, aber danach gingen sie nicht zurück ins Meer, sondern immer weiter landeinwärts. Dort wurden sie von kleinen Negerjungen in Körbe gesteckt.«
    Max sah sie an. Sie hatte Onnos klassische, gerade Nase. Bis zu seinem vierten Lebensjahr hatte sie ihn in rosa Kleidchen und mit Korkenzieherlöckchen herumlaufen lassen. Wessen Enkel würde sie demnächst bekommen? Ihren eigenen, oder den einer in Auschwitz vergasten Jüdin? Und er, der Staatsminister? Seinen eigenen, oder den eines hingerichteten Kriegsverbrechers? 
    In dem kleinen Kellerrestaurant an der Prinsengracht, das Onno gemietet hatte, wurden Hasenkeule mit Rotkohl und dazu ein Burgunder serviert. Die Verwandtschaft war nach Hause geschickt worden, und die Freunde,

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