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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Sophia.
    Quinten war hinausgegangen. Auf dem Vorplatz stand das Auto mit den beiden Antennen, das im einen Augenblick noch stand und im nächsten schon hundert fahren konnte. Der Fahrer rauchte auf der Balustrade zum Schloßgraben eine Zigarette und nickte ihm freundlich zu. Quinten gefiel das Auto besser als das von Onkel Diederic, des Kommissars der Königin. Nachdenklich ging er über die Brücke und warf einen kurzen Blick auf die Räder am Weg zu Piet Kellers Tür. Die Königin saß in ihrem totenstillen Palast und durfte nicht sprechen. Jetzt war er sich ganz sicher: die Königin war seine Mutter. Sonst würde sein Vater ja wohl nicht in der Regierung sitzen und so ein schönes Auto mit Fahrer haben. Und sein Onkel saß als ihr Kommissar in Drenthe, in diesem feierlichen Haus in Assen, um auf ihn aufzupassen. Auch sein Vater hatte ihm das verschwiegen, denn es war natürlich geheim. In der Schule ahnten sie vielleicht etwas, sonst würden sie nicht so garstig zu ihm sein. Sie waren eifersüchtig, weil sie selbst alle stinknormale Mütter hatten, mit geblümten Kleidern und mit Lockenwicklern im Haar, und sie wohnten auf Bauernhöfen oder in komischen kleinen Häusern, die aneinandergeklebt waren. Die Kinder in seiner Klasse konnte er verstehen, aber sie sprachen irgendwie anders als er, und sie hatten andere Köpfe. Ihr Haar war manchmal fast weiß, und ihre Augen sahen aus wie Fischaugen. Die Jungen spielten gerne Fußball, was ihm, dem Sohn der Königin, zuwider war. So ein schöner, runder Ball, den konnte man doch nicht treten! Dann konnte man genausogut Menschen treten. Als Sohn der Königin tat man so etwas nicht. Aber Hitler hatte gewollt, daß alle Juden totgemacht werden sollten, in Gaskammern, nun hatte auch Max schon davon gesprochen. Vielleicht war er selbst auch ein Jude, das mußte er ihn einmal fragen; er war plötzlich ganz aufgeregt gewesen, als er von diesem Hitler anfing. So ein Schuft war das: Herrn Spier totmachen –. Während er »Hitler« dachte, sah er eine riesige, muskulöse Gestalt vor sich, einen Kannibalen mit langem blondem Haar, das im Wind wehte, und der nachts in einem Hünengrab auf der Heide schlief.
    »Vorsicht, Kuku.«
    Er sah auf. Selma Kern radelte in ihrem gigantischen Kleid an ihm vorbei. Das Bild, von dem sein Vater heute das Tuch gezogen hatte, hatte vielleicht sogar Kern gemacht. Man brauchte nur den überflüssigen Stein wegzuhacken und dann ein Tuch wegzuziehen. Vielleicht zog Kern auch manchmal dieses Kleid von Frau Kern herunter, so daß sie plötzlich nackt im Zimmer stand. Er lachte. Das sah bestimmt komisch aus! Und Max tat es vielleicht bei Oma, wenn sie nachts zu ihm ins Bett schlüpfte, weil sie fror; aber daran wollte er nicht weiter denken. Er sah zu Kerns Atelier hinüber: Kern war nicht da, das Vorhängeschloß hing an der Tür. Die Tür von Herrn Roskams Werkstatt stand offen, er sah ihn im Dunkeln umhergehen. Sein Vater hatte seine Mütze begraben müssen. Angenommen, sein eigener Vater müßte auf Befehl des Barons seine Mütze begraben.
    Das würde er nie tun! Im übrigen hatte er gar keine Mütze. Ob Herr Roskam noch einmal mit dem Baron darüber gesprochen hatte? Bestimmt nicht. Der schämte sich natürlich zu Tode, oder vielleicht hatte er es auch vergessen.
    Am Haus der Domina vorbei ging er zur Orangerie, wo Etienne gerade in seinem Auto wegfahren wollte. Er kurbelte das Fenster herunter und sagte:
    »Du kannst jetzt nicht hinein, Schönchen, ich muß ins Dorf.
    Komm morgen wieder.«
    Als er die lockeren Bretter der Brücke hatte dröhnen hören, nahm er die Situation von damals genau in Augenschein. Herr Roskam und sein Vater waren aus dem Gärtnerhaus gekommen, in dem jetzt die Domina wohnte, und dort drüben, auf der Schwelle der Orangerie, hatte der alte Baron mit seinem Sohn gestanden. Die Roskams hatten also etwa an derselben Stelle gestanden wie er jetzt. Aber hier war der Boden hart, hier konnte man kein Loch graben. Er drehte sich um und überlegte, wo er selbst ein Loch graben würde, wenn er ein Loch graben müßte. Er machte einige Schritte bis zum Anfang des weichen Waldbodens, der jetzt mit Laub bedeckt war. Er nahm einen Stein und legte ihn an die Stelle, wo die Mütze liegen mußte. Dann rannte er zurück zu Herrn Roskam.
    Roskam versuchte mit einer Zange eine Mutter von einem Hahn zu lösen, hatte aber offenbar nicht mehr die Kraft dazu.
    Als Quinten seine traurigen Augen sah, wollte er am liebsten gleich sagen, daß er die

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