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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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hatte.
    »Genau«, sagte Onno, »wenn ich so etwas höre, weiß ich wieder, warum ich links bin.«
    »Es ist genau, wie du sagst«, sagte Max erregt, »das Unmoralische ist, daß solche Machtworte möglich sind. ›Baue einen Tempel!‹ ›Begrabe deine Mütze!‹ Oder nehmen wir Hitler. Der hat Himmler einmal seinen grundsätzlichsten Befehl erteilt. ›Ermorde alle Juden!‹ – drei Wörter, natürlich nur mündlich. Aber er selbst hat nie einen Juden ermordet, sowenig wie Himmler oder Heydrich oder Eichmann, das wurde dann vom niederen Fußvolk besorgt. Und in Auschwitz war es noch idiotischer: Dort mußten die jüdischen Gefangenen selbst das Zyklon-B in die Gaskammern werfen. Da hatte man dann die Situation, daß der eigentliche Mord nicht von den Mördern, sondern von den Opfern begangen wurde. Wer es getan hat, hat es nicht getan, und wer es nicht getan hat, hat es getan.« Er fing einen Blick von Sophia auf und hielt plötzlich inne. Um Quinten nicht mit dieser Vergangenheit zu belasten, sprach er in seiner Gegenwart nie über solche Dinge, aber eigentlich auch nicht ohne seine Gegenwart.
    »Genau das meine ich«, sagte Onno. »Führerbefehl hat Gesetzeskraft. Bei Hitler findet man alles immer in Reinkultur.
    Wenn Worte zu Taten werden, verflüchtigen sich die Taten, und die Hölle des Paradoxons öffnet sich und verschlingt alles. Irgend etwas stimmt hinten und vorne nicht in der Welt, und gleichzeitig kann es nicht anders sein, als es ist. Vielleicht ist es die midlife crisis , aber an manchen regnerischen Nachmittagen schaue ich etwa zur Zeit des Sonnenuntergangs aus dem Fenster des Ministeriums und freue mich auf den Tag, an dem ich aus der Politik heraus sein werde. In Den Haag schwelgen sie alle in dieser unmoralischen Konstellation, aber ich bin froh, wenn ich einfach wieder sprechen werde, wenn ich spreche – so wie jetzt. Und wenn ich etwas tun möchte, möchte ich das einfach tun, indem ich es tue, wie alle anständigen Menschen. Vorhin habe ich in Leeuwarden dieses Institut eröffnet: mit Worten, die also eine Tat waren, und danach mußte ich etwas tun , ich mußte ein Tuch von einem Bild ziehen, aber das war eine Tat, die keine Tat war, sondern eine symbolische Handlung. Ein menschenunwürdiges Dasein! Und wenn der Tag noch trüber ist, dann denke ich manchmal an die Königin in ihrem totenstillen Palast: Ihre Majestät muß ihr Leben lang, tagein, tagaus solche untätigen Taten verrichten und darf nie ihre eigenen Worte sprechen, sondern immer nur die unsrigen. Schon allein aus Höflichkeit ihr gegenüber sollte man die Monarchie abschaffen.« Er stand auf und stellte sich ans Fenster. »Die Politik«, sagte er nach einer Weile, »beschädigt die Seele. In der Politik sitzt dein potentieller Todfeind immer in der ersten Reihe deines Auditoriums. Darum muß ich jedem mißtrauen, und meinen Freunden zuallererst, und das heißt, daß ich mich selbst ununterbrochen verachten muß.«
    Keiner sagte mehr etwas. Erschrocken sah Max auf seine Hände und Quinten auf den mächtigen Rücken seines Vaters, während die Worte, die er gehört hatte, wie ein Bienenschwarm in seinem Kopf herumtollten. Nach einer Weile drehte sich Onno um und sagte zu Max:
    »Du hattest doch sicher vor, heute wieder für dein Spielzeug Stimmung zu machen, stimmt’s? Für dieses völlig überflüssige dreizehnte und vierzehnte Teleskop. Ich verstehe, daß ich dir das jetzt so gut wie unmöglich gemacht habe. Aber da ich wiederum Politik betriebe, wenn ich das jetzt ausnutzen würde, werde ich das aufgrund meiner unendlichen Güte nicht tun.«
    Erleichtert begriff Max, daß Onnos Bemerkung über das Mißtrauen gegenüber Freunden nicht auf ihn gemünzt war.
    »Baue zwei Spiegel!«, sagte er in einem Ton, mit dem Onno vorhin Salomo zitiert hatte. »Wie das auf hebräisch heißt, weiß ich allerdings nicht.«
    » Tiwne shté mar’ot! Für mich ist das zwar eine Vergeudung öffentlicher Gelder und das Ganze hat eine gesellschaftliche Relevanz, die gleich Null ist, aber ich kann dir mitteilen, daß ich inzwischen einen Topf dafür gefunden habe, auf Kosten einiger Institute im Ausland, die sich dafür bestimmt nicht bedanken werden. König Onno – der Erbauer zweier Spiegel in Westerbork!« sagte er in getragenem Ton. »Wo ich doch nicht einmal eine Brille schleifen kann, wie Spinoza. Was bin ich doch für ein durch und durch guter Mensch.« Er sah sich um. »Wo ist Quinten?«
    »Das weiß man bei ihm nie so genau«, sagte

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