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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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daß nichts stand oder lag, wie es zufällig dort hingestellt oder hingekommen war. Nicht, daß es im ästhetischen Sinn leer war oder penibel aufgeräumt; die ganze Wohnung war eher voll, mit Büchern und Ordnern, auch auf dem Boden und dem kleinen Flügel, aber nie lag ein größeres Buch auf einem kleineren oder ein Ordner auf einem Buch, nichts schien an einem anderen Platz liegen zu können – wie auf einem Gemälde. Die harmonische Komposition dehnte sich ungezwungen über den gesamten Wohnraum aus; von einem bestimmten Stil konnte keine Rede sein, es gab Modernes, Antikes, Halbantikes, aber alles paßte zusammen, und nirgends stieß das Auge auf eine Beleidigung, zum Beispiel etwas aus buntem Kunststoff oder eine Werbebroschüre oder auch nur einen Kugelschreiber. Auch der Schreibtisch lag voll mit Büchern und Unterlagen, aber alles war sorgfältig geordnet, parallel, rechtwinklig, ohne daß es einen zwanghaften Eindruck erweckte. Was Onno »Wahnsinn« nannte, war Bewunderung für etwas, das er in seinem eigenen Alltag völlig vermißte.
    Die menschliche Natur ist derart konservativ, daß man sich als Besucher immer wieder da hinsetzt, wo man sich beim ersten Mal hingesetzt hat. Onno ließ sich also im olivgrünen Chesterfield-Sessel nieder, bekam eine Flasche Bacardi, eine Literflasche Cola und eine Schüssel mit Eiswürfeln neben sich hingestellt, und Max ging zu seinem »Ehrenregal«
    auf dem Kaminsims. Zwischen zwei bronzenen Buchstützen, belorbeerten Satyren mit Bocksbeinen, standen zehn oder fünf -zehn Bücher, die zur Zeit für ihn das Höchste verkörperten. Ab und zu fanden Wechsel statt, was aber immer dort stand, war das Exemplar seines Vaters von Der Einzige und sein Eigentum , signiert mit Wolfgang Delius – Im Felde 1917 , das seine Pflegeeltern zusammen mit einigen wenigen Kleidungsstücken 1946 aus dem Strafgefängnis in Scheveningen zugeschickt bekommen hatten; alle sonstigen Besitztümer waren gepfändet worden und verschwunden. Auch Kafk as Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande stand im Ehrenregal; darin enthalten dessen Brief an den Vater , den er nie abgeschickt hatte.
    Die beiden, diese drei eigentlich, mitten in der Nacht mit ihren Vätern! Stundenlang, immer unterbrochen von ihrer beider Kommentare, las Max den Brief ohne holländischen Akzent vor. Kafk a, der sich die Haut abstreifte, heiraten wollte, nicht heiraten konnte im Schlagschatten seines Erzeugers, der bereits früh angekündigt hatte, »daß er ihn zerreißen werde wie einen Fisch« – immer, wenn eine solche Furchtbarkeit kam, rutschte Onno tiefer in seinen Sessel, als würde er von einer Salve getroffen, bis er schließlich euphorisch zuckend am Boden lag. Max war zuletzt aufgestanden mit dem Buch und feuerte die Worte aus der Höhe senkrecht zu Onno hinunter, der rief: »Hab Erbarmen, Vater! Nicht das Schlimmste! Ja, ich werde sogar das Sacrificium intellectus für Sie erbringen, ja, ewig werde ich Sie anbeten wie der Geringste der Schöpfungen, ich, Wurm, nicht wert, Ihre Füße zu küssen, zermalme mich, auf daß die Gerechtigkeit ihren Lauf nehme!«
    Mit einem Knall schlug Max das Buch zu und drückte es gegen seinen Bauch vor Lachen. Einzigartig, unsterblich waren sie! Niemand würde es je verstehen, aber es war auch nicht nötig, daß es jemand verstand. Onno hievte sich wieder in seinen Sessel und schenkte sich ein weiteres Glas halb Rum, halb Cola ein. Max sagte, dieser Brief sei der Schlüssel zu Kafk as gesamtem Werk. Nur über diesen Brief könne Der Prozeß verstanden werden. Josef K.!
    »Du bist zwar so genial gewesen, die Herkunft der Abkürzung ›HAL‹ herauszufinden, aber ich habe entdeckt, woher dieses ›Josef‹ stammt. ›K.‹ steht natürlich für Kafk a, und der Mann, der gleich zu Anfang in sein Zimmer tritt, um ihn festzunehmen, heißt Franz, wie Kafk a selbst; aber warum heißt K.
    selbst Josef, und nicht Max, nach seinem Freund Brod, oder Moritz?«
    »Franz Joseph!« rief Onno.
    »So ist es. Der Festnehmende, sein Festzunehmender und Kafk a selbst bilden die Dreieinigkeit Seiner kaiserlichen und königlichen apostolischen Majestät. «
    Die Nacht schritt voran, die Erde drehte sich um ihre Achse, und sie sprachen über das Problem, weshalb eine Fahne im Wind – in einem straffen Luftstrom – weht ; und warum die Wellen in Max’ Haar sich nicht mit dem Wuchs fortbewegten, sondern an derselben Stelle blieben, genau umgekehrt wie auf See, wo die Wellen sich horizontal fortbewegten, das

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