Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
Vom Netzwerk:
sich um Zahlen handelt, wie soll er dann dahinterkommen, daß es die alphabetisch geordneten deutschen Zahlwörter von ›eins‹ bis ›zehn‹ sind? Am Anfang das A für ›acht‹, am Ende das Z für ›zwei‹. Wie soll er dahinterkommen, daß das Zahlwort ›acht‹ die Bezeichnung für die Zahl 8 ist? Er kennt nicht einmal das Dezimalsystem, und erst recht nicht die deutsche Sprache. Wie, in Gottes Namen, soll er dahinterkommen, daß er hier Doktor Quists unvergeßliche Erzählung von A his Z vor sich hat? Was ist der Schlüssel? Und trotzdem soll und wird er dahinterkommen!
    Wie bitte ?« sagte er plötzlich laut zum Foto. »Hallo! Ist da jemand? Ich kann Sie nicht verstehen! Die Verbindung ist so schlecht!« Er warf das Bild auf den Boden und legte die Hände vors Gesicht. »Ich bin total blockiert.«
    Mit einem Zeigefinger zwischen den Seiten schlug Helga das Buch zu.
    »Wie kommt’s?« fragte sie mit einem singenden Ton in der Stimme.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er gespielt heulend, »ich weiß es nicht. Vielleicht kann man eben nur einmal im Leben eine richtige Entdeckung machen.«
    »Könnte das vielleicht an den durchwachten Nächten mit deinem neuen Freund liegen?«
    Die Pose verschwand aus Onnos Gesicht; er setzte sich gerade hin und sah sie an.
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Das ist sehr wohl mein Ernst. Bist du dir eigentlich bewußt, was für ein überspannter Zustand das ist?«
    »Helga!« sagte er entsetzt. »Was meinst du damit?«
    »Ich weiß nicht, was du jetzt meinst, ich weiß nur, daß du vollkommen blockiert bist, seit du ihn kennst. Du müßtest mal sehen, wie du dich in letzter Zeit verändert hast.«
    »In welcher Hinsicht?«
    Sie legte das Buch weg und kreuzte die Arme.
    »Wenn du mich fragst, bist du mit deinen Gedanken mehr bei ihm als bei deiner Arbeit. Du kommst nach Hause, wenn ich ins Institut gehe. Wie macht er das eigentlich? Er ist doch Sternenkundler? Muß er sich nachts denn nicht die Sterne ansehen?«
    »Ich brauche doch auch nicht in das Museum in Heraklion zu gehen, um die Zeichen zu studieren? Und ich kann doch ausschlafen?«
    Er stand von der Couch auf und stellte sich ans Fenster. Natürlich dachte er weniger an seine Arbeit, aber was war daran so schlimm? Auf diese Weise wurde das Denken nicht zum Brüten, und Brüten war viel schädlicher für das Denken, als gar nicht zu denken. Sein Austausch mit Max war doch in gewisser Weise schon das »andere«, das er in Angriff genommen hatte.
    »Bist du etwa eifersüchtig?«
    »Ich möchte, daß es dir gutgeht.«
    Er seufzte tief und drehte sich um.
    »Hör zu. Was zwischen Max und mir ist, kann nie zwischen dir und mir sein; und was zwischen dir und mir ist, kann nie zwischen Max und mir sein. Das ist sonnenklar, darüber braucht weiter kein Wort verschwendet zu werden. Ehrlich gesagt, finde ich, daß wir schon zu viele Worte darüber verschwendet haben.«
    Sie stand auf, machte einige Schritte, blieb stehen und sagte: »Onno, sei vorsichtig.«
    »Weshalb sollte ich denn um Himmels willen vorsichtig sein?« fragte er erstaunt.
    Sie machte eine hilflose Geste. »Ich weiß es nicht.«
    »Aha«, sagte er und ging auf sie zu, »die weibliche Intuition.« Ungeschickt drückte er sie an sich. »Es ist ein Jammer.
    Frauen haben alles, Verstand, Gefühl, Willen, aber nur Männer haben Intuition. Deshalb existiert keine einzige weibliche Schöpfung von einiger Bedeutung, und das kommt nicht daher, daß die Frauen immer in der Küche haben stehen müssen, denn die besten Köche sind Männer. Mit Widerwillen muß das einmal festgestellt werden. Aber sie können eines, was Männer nicht können, und das ist Männer gebären. Das reicht doch voll und ganz.«
    Sie machte sich los.
    »Warum fängst du wieder an zu schwafeln, wenn ich versuche, mit dir zu reden?«
    »Du weißt doch, was Napoleon gesagt hat? Daß all seine Kriege eine Bagatelle gewesen seien im Vergleich zu dem Krieg, der eines Tages zwischen Männern und Frauen ausbrechen wird. Ich schwöre deshalb hier vor dir den heiligen Eid, daß ich bis dahin der erste Geschlechtsverräter werde, obwohl ich weiß, daß es mich teuer zu stehen kommen wird.«
    »Ach, Onno, laß nur. Du bist unmöglich.« Mit zwei Händen fummelte sie am Hinterkopf die gelösten Haarsträhnen unter die Spangen. »Wollen wir in den Vondelpark gehen?«
    In diesem Augenblick erklang draußen ein Schrei:
    »He, Onno!«
    Sie warfen sich kurz einen Blick zu und hängten sich aus jeweils einem Fenster. Mit

Weitere Kostenlose Bücher