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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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wird bis zu meinem letzten Seufzer in mir sein. Daß Du Dich um Quinten hast kümmern wollen – indem du deine ehemalige Lebenslust in einer Art verleugnet hast, die mich, ehrlich gesagt, bis zum heutigen Tag erstaunt –, ist etwas, das mich nicht nur mit tiefer Dankbarkeit erfüllt, sondern vielleicht auch mit einem noch tieferen Schuldgefühl. Im Grunde war er von Anfang an viel mehr Dein Sohn als meiner. Sorge gut für ihn, die paar Jahre, die er noch bei Euch sein wird. Alle praktischen und finanziellen Dinge habe ich mit meiner Bank geregelt; es läuft alles selbstverständlich und normal weiter. Manchmal habe ich den Eindruck, daß Quinten schon alles weiß, aber falls er studieren und sich ein eigenes Zimmer nehmen möchte, so kann er mit einer Zulage rechnen.
    Meine Wohnung in der Kerkstraat habe ich gekündigt, meine Sachen stehen vorläufig bei Dol auf dem Speicher; sollte einer von Euch etwas davon haben wollen, so kann er es sich holen.
    Außer meinem Anwalt, Hans Giltay Veth (übrigens der Sohn des Verteidigers Deines Vaters nach dem Krieg), weiß niemand, wie ich erreichbar bin, auch meine Verwandtschaft nicht. Falls wirklich etwas sein sollte, so wende Dich an ihn. Mach’s gut, Max, und viel Erfolg bei Deiner wissenschaftlichen Arbeit. Entschleiere den Big Bang! Ich werde immer an Dich denken wie an jemanden, der die Antwort auf eine Frage schon wußte, bevor sie gestellt wurde.
    Dein Onno

    Sehr geehrte Frau Brons ,

    jede andere Anrede würde genauso idiotisch klingen, also nehmen wir diese. Max wird Sie meinen Brief lesen lassen, in dem steht, daß ich verschwinden werde. Das sieht so aus, als hätte ich eine schwierige Entscheidung getroffen, über die ich lange nachgedacht habe, aber so war es nicht. Gleich nachdem ich erfahren habe, was mit Helga passiert ist, wußte ich, daß es nicht anders geht. In der Verfassung, in der ich mich jetzt befinde, bin ich vollkommen unbrauchbar für soziale Bindungen. Adas Schicksal hat damit wesentlich zu tun. – Es macht mir Mühe, diese Zeilen zu schreiben. Obwohl wir nie Meinungsverschiedenheiten hatten, haben wir nie wirklich Kontakt miteinander gehabt. Sie haben mich nicht gewählt, und ich habe Sie nicht gewählt; aber weil Ada und ich uns gewählt haben, hatten auch Sie und ich miteinander zu tun, und doch sind wir uns in all diesen Jahren so fremd geblieben wie zwei Wesen aus verschiedenen Welten. Die Natur beherzigt die Psychologie offenbar nur auf kurze Distanz, und damit haben wir uns abzufinden. Aber das tut der Tatsache keinen Abbruch, daß Ihre Tochter meine Frau ist … oder war – der Dämmerzustand des Tempus drückt das Ausmaß der Katastrophe präzise aus. Unsere fünf Leben sind für immer miteinander verflochten: Ihres, meines, Adas, Max’ und Quintens.
    Ada wird nie erfahren, wie hervorragend Sie ihre Aufgabe nun schon seit dreizehn Jahren übernommen haben, aber ich weiß es, und ich wünschte mir, ich hätte die Fähigkeit, meine Gefühle zu äußern. Leider kann ich es nicht; aber ich schöpfe Trost aus dem Gedanken, daß derjenige, der es kann, diese Gefühle vielleicht gar nicht hat. Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin Ihnen in mancherlei Hinsicht dankbarer als meiner eigenen Mutter. Ada ist Fleisch aus Ihrem Fleisch: Sollten sie betreffende Entscheidungen getroffen werden müssen, so haben Sie selbstverständlich das letzte Wort.
    Verzeihen Sie den formellen Ton dieses Briefes. Seien Sie gegrüßt, und möge es Ihnen wohl ergehen.
    Ihr Schwiegersohn

    Mein lieber Quinten!

    Du hast bestimmt selbst schon gemerkt, daß sich im Leben alles fortwährend ändert – meistens geschieht das langsam und fast unmerklich, aber manchmal auch plötzlich und sehr einschneidend. Wenn Du mit dem Rad irgendwohin fährst, ist nichts los, aber wenn Du fällst und Dir ein Bein brichst, dann ist plötzlich sehr viel los. Der Krieg ist so ein Fall, aber nicht nur der Krieg.
    Mama und ich haben sehr ruhig zusammengelebt, aber als sie mir eines Tages erzählte, daß Du geboren würdest – das heißt, in dem Moment wußten wir natürlich noch nicht, daß Du das sein würdest, nicht einmal, ob Du ein Junge oder ein Mädchen warst –, da war eigentlich nichts mehr wie vorher. Das war natürlich eine schöne Veränderung, aber als Mama diesen Unfall hatte, war plötzlich alles auf furchtbare Weise ganz anders. Du hast inzwischen auch schon am Grab von Opa und von Oma To gestanden, sie waren sehr alt, und wenn man sehr alt ist, dann stirbt man

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