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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Ausdruck genausogut gleich in den Papierkorb werfen.«
    Da Quinten im Alter von zwölf Jahren das Historioskop sozusagen erfunden hatte, hatte Max ihm einmal die Eigenart eines Quasars zu erklären versucht: Der Quasar galt als geheimnisvolles, superschweres Objekt am Rande des wahrnehmbaren Alls, das ebensoviel Energie aussandte wie tausend Milchstraßensysteme von jeweils einhundert Milliarden Sternen, und das, obwohl dieser Quasi-Stern viel kleiner war als auch nur ein einziges Sternensystem. Man vermutete, daß sich im Quasar ein schwarzes Loch befand, das monströseste Phänomen aller Himmelserscheinungen. Der am weitesten entfernte bekannte Quasar, OQ 172, war gut fünfzehn Milliarden Lichtjahre entfernt, und an ihm konnte man sehen, wie das All fünf Milliarden Jahre nach dem Big Bang ausgesehen hatte – mit nur einem Viertel der jetzigen Größe. Ein alter Studienfreund aus Leiden, der jetzt auf Mount Palomar in Kalifornien arbeitete, war durch die Rotverschiebung der Wasserstofflinien im optischen Spektrum auf genau diesen Abstand in der vierdimensionalen Raum-Zeit gekommen. Wenn ein Düsenjäger komme, hatte Max Quinten erklärt, werde das Motorengeräusch höher, und wenn er vorbeigeflogen sei, werde es niedriger: zuerst überhole er seine Schallwellen, wodurch sie kürzer würden, danach verlängere er sie leicht. Daß die ausgeprägteste Spektrallinie von OQ 172 deutlich vom Ultraviolett in den Bereich der längeren Wellenlinien des Rots verschoben sei bis in die Mitte des sichtbaren Spektrums, bedeute, daß das Ding sich im expandierenden All mit gut neunzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit von der Erde weg bewege. Quinten hatte nur mäßiges Interesse gezeigt, und Max sagte sich, er sei eben genauso geisteswissenschaftlich veranlagt wie sein Vater.
    MQ 3412 wollte sich nun nicht in das Muster der fast zweitausend Quasare fügen, die bis jetzt bekannt waren. Und beim VLBI trat nun offenbar eine schwere Kinderkrankheit des Systems zutage, die vermutlich auf einen Defekt in der engen Vernetzung zwischen den Hunderten von Spiegeln in Dutzenden von Ländern auf den unterschiedlichsten Kontinenten zurückzuführen war, oder vielleicht stimmte auch etwas mit der Atomuhr nicht, so daß die Werte nicht absolut synchron in den Computer eingespeist worden waren. Max betrachtete die Meßergebnisse, als seien sie ein unglaublicher Zaubertrick, dessen Geheimnis man eigentlich gar nicht wissen wollte. Diesmal hatte MQ 3412 beschlossen, sich mit unendlicher Geschwindigkeit fortzubewegen, das immerhin war aus dem desolaten Radiospektrum eindeutig ersichtlich.
    »Anders gesagt«, sagte Max, »unser tachyonischer Freund befindet sich mit einer Energie gleich Null auf allen Punkten einer Linie gleichzeitig.«
    »Das hätte Albert Einstein überrascht«, sagte Floris.
    Den Rest des Tages verbrachte Max mit Besprechungen, Telefonaten bis nach Australien, dem Lesen und Verschicken von Faxen und Beratungen mit den Ingenieuren. Einer von ihnen vermutete, der Fehler liege vielleicht bei ihnen. Unter Westerbork werde Gas gewonnen, dadurch könne es minimale Senkungen geben, so daß die Spiegel nicht mehr exakt ausgerichtet wären; zudem sei vor einigen Monaten bei Assen ein kleines Erdbeben mit einem Wert von 2,8 auf der Richterskala registriert worden. Es wurde beschlossen, alles neu zu eichen und sich mit der Gasunion in Groningen in Verbindung zu setzen. Es erstaunte Max, daß ein Vorgang tief in der Erde, im Perm, möglicherweise die Sicht auf den Rand des Alls beeinträchtigte.
    Gegen Abend zog er sich in sein kleines Büro zurück, um sich die Daten noch einmal in Ruhe anzusehen, aber er fand einfach keinen Zusammenhang. Sie wirkten, als hätte ein Affe auf der Schreibmaschine ein Sonett zu schreiben versucht. Er mußte auch an ein revolutionäres Experiment denken, das vor drei Jahren in Paris durchgeführt worden war. Es ging zurück auf eine Grundsatzdiskussion zwischen Einstein und Bohr in den dreißiger Jahren, also eigentlich zwischen der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik, die sich nie besonders gut vertragen hatten. Einsteins gedankliches Experiment wurde 1982 geprüft mit dem Resultat, daß Bohr recht hatte.
    Auch damals schien die Rede von gleichzeitigen, unendlich schnellen Signalen gewesen zu sein, die schneller waren als das Licht, und da niemand daran zweifelte, daß das unmöglich war, deutete es also auf etwas in der Wirklichkeit hin, das niemand vorhergesehen hatte. Konnte das vielleicht mit dem

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