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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Er ließ sich auf die Couch fallen, und mit einem Glas rosaroten Champagner erzählte er von dem weltweiten astronomischen Debakel, das Hunderttausende gekostet habe, vielleicht sogar Millionen. »Aber ist es nicht eigentlich wunderbar, daß so etwas möglich ist? Es hätten Tausende von Kindertagesstätten davon gebaut werden können, und wenn der Versuch geglückt wäre, hätte trotzdem kein einziger Mensch etwas davon gehabt. Daß das alles immer noch möglich ist, versöhnt mich ein wenig mit der Menschheit. Und es heißt auch, daß der Homo sapiens sapiens seiner neugierigen Kindheit noch nicht ganz entwachsen ist. Erst wenn die Kurzsichtigkeit endgültig durchschlägt und die Bedeutung der Dinge nur noch entsprechend ihrer Funktion für die unmittelbare Gegenwart angesehen wird, geht es den Bach hinunter. Hör mir bitte zu, ich rede wie gedruckt.«
    »Du meinst, der Mensch muß über seine Nasenspitze hinausschauen.«
    »In meinem Fall ist das eigentlich kaum möglich.«
    Vielleicht war es auch ihre Art zu lachen, die ihm an ihr so gefiel. Er konnte sich nicht erinnern, Sophia je richtig lachen gesehen zu haben, und Ada eigentlich auch nicht; aber Tsjallingtsjes strenges Gesicht war immer drauf und dran, sich von einem Augenblick auf den anderen völlig zu verwandeln.
    Vielleicht war das Talent zu lachen genau das, worauf es im Grunde ankam, mehr als auf die Fähigkeit zu intellektuellen Kraftakten.
    Als sie in der Küche war, warf er mit verschränkten Armen einen Blick auf die Abendzeitung, die halb zusammengefaltet neben ihm auf der Couch lag. Ohne sie in die Hand zu nehmen und aufzublättern, überflog er die Schlagzeilen, die vom Umschwung in Moskau handelten. Auch dort war offenbar eine Art Rotverschiebung im Gange – oder eher das Umgekehrte, eine politische Violettverschiebung: etwas bewegte sich mit großer Geschwindigkeit auf die Menschheit zu, da die Expansion des politischen Weltraums in eine Kontraktion umgekippt war. Er legte die Beine auf die Couch, und als er die Augen schloß, standen ihm sofort wieder die absurden Meßergebnisse vor Augen. Vielleicht war es nur der Champagner, aber aus irgendeinem Grund hatte er plötzlich das Gefühl, daß dennoch ein Sinn darin enthalten war.
    Bei Tisch fiel ihm auf, daß Tsjallingtsje wieder einmal über ihre Verhältnisse eingekauft hatte. Es gab Austern, zu denen sie wieder Champagner tranken, und als sie dann mit einem Rehrücken aus der Küche kam und ihm eine Flasche Volnay zum Entkorken gab, war er ganz sicher, daß etwas dahintersteckte.
    »Heraus damit, Tsjal«, sagte er, während er mit ihr anstieß, »was ist es? Habe ich ein Datum vergessen?«
    Über das Glas hinweg sah sie ihn an und schluckte, er spürte, daß es sie Mühe kostete, zu reden.
    »Ich hoffe, daß du mir nicht böse sein wirst, Max, aber ich wünsche mir, daß es ein Datum gibt, das wir nicht vergessen werden.«
    »Du sprichst in Rätseln.«
    »Ich will ein Kind von dir.«
    Regungslos erwiderte er ihren Blick. Wie ein Feuerpfeil durch ein offenes Fenster flogen die Worte in seinen Kopf. Er hatte schon hie und da vermutet, daß es sie beschäftigte, aber daß sie so unumwunden und bestimmt damit herausrücken würde, hatte er nicht erwartet. Und noch ehe er selbst wußte, wie seine Reaktion auf diese Mitteilung ausfallen würde, war er aufgestanden und hatte sich zu ihr gekniet, die Arme um ihre Taille und sein Gesicht in ihrem Schoß verborgen. Tsjallingtsje begann zu weinen. Sie nahm seine Hand und drückte ihre Lippen auf die Innenseite, während sie mit der anderen durch sein dickes graues Haar fuhr. Seine Gedanken überschlugen sich. Natürlich! So mußte es sein! Und es war, als ob in dem Tumult eine Stimme ununterbrochen wiederholte: »Alles wird zurechtgerückt! Alles wird zurechtgerückt!« Er wollte nachdenken, mit sich ins reine kommen, am liebsten wäre er auf der Stelle durch die Verandatür in den Garten gegangen.
    Er sah sie an.
    »Sei ganz ehrlich: Bist du schwanger?«
    »Nein, natürlich nicht, wofür hältst du mich? Meinst du etwa, ich will dich erpressen? Aber ich möchte ein Kind von dir, auch wenn du es nicht willst. Ich bin jetzt sechsunddreißig, und es wird mit jedem Jahr kritischer, wie du vielleicht weißt. Wenn ich noch ein paar Jahre warte, werden die Kinder mongoloid.«
    »Ich kenne ein sehr nettes mongoloides Kind.« Da der rauhe Kokosteppich langsam anfing, die Knie zu malträtieren, ging er in die Hocke. »So also ist die Lage: ein Kind mit mir oder

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