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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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ohne mich, aber auf jeden Fall ein Kind.«
    »Ja.«
    »Und wenn ich nun nicht gewollt hätte, was dann? Hättest du dann einen anderen genommen?«
    »Das weiß ich nicht. Und so etwas fragt man auch nicht.«
    »Es ist dir natürlich klar, daß ich siebzig sein werde, wenn dein Kind achtzehn wird?«
    »Es gibt keinen idealeren Vater als einen Großvater, das weiß doch jeder.«
    »Nun gut, das wäre also klar.« Er stand auf, legte die Arme um ihren großen Körper und küßte sie. »Laß dir morgen die Spirale herausnehmen. Und dann wirst du natürlich auch heiraten wollen.«
    »Das ist mir egal. Meinetwegen muß es nicht sein.«
    »Und dein Vater, der Prediger?«
    »Wenn du mich fragst, glaubt der schon lange nicht mehr an Gott.«
    »In was für einer Welt leben wir bloß?« rief Max mit einem Gefühl, als ob er Onno zitierte.
    In einem Zug leerte er sein Glas und schenkte sich nach, und als er wieder vor seinem Teller saß, besprachen sie die Konsequenzen ihrer Entscheidung. Wenn alles gutging, würde Quinten nächstes Jahr Abitur machen und vielleicht ein Studium anfangen, auch wenn er nie etwas in dieser Richtung angedeutet hatte; und ungefähr zu dieser Zeit wäre dann auch ihr Kündigungsschutz im Schloß abgelaufen. Sophia hatte sich nie über ihre Pläne danach geäußert, aber so wie er sie kannte, wußte sie längst, was dann anstehen würde.
    »Trink nicht so viel«, sagte Tsjallingtsje und stellte eine neue Flasche auf den Tisch.
    »Und ob ich viel trinke. Ich habe sogar vor, heute abend eine ganze Menge zu trinken. Ist dir eigentlich klar, daß auch ich zum ersten Mal Vater werde, wenn’s klappt?« Mit beiden Händen rieb er sich das Gesicht. Plötzlich hatte sich die Welt verändert. Die ganzen siebzehn Jahre, die er mit Sophia und Quinten verbracht hatte, schienen plötzlich wie von einem Windhauch weggeblasen zu sein. Alles fing wieder von vorn an, aber jetzt solider, eindeutiger. Er stand auf und schwankte leicht.
    »Möchtest du keinen Kaffee?«
    »Sei mir nicht böse, aber ich muß einen Augenblick allein sein. Ich geh kurz in den Schuppen.«
    »Jetzt in den Schuppen? Du bist einigermaßen angesäuselt, Max, warum gehst du nicht nach oben?«
    »Laß mich nur.«
    Er küßte sie auf die Stirn, machte die Tür auf und ging mit der Flasche und dem Glas in den Garten. Es war schon dunkel, und über den Bäumen stand der Mond in seinem dritten Viertel. Auf halbem Wege stützte er sich kurz mit dem Flaschenboden auf den riesigen Findling, der sich aus der Erde hochgearbeitet hatte und ihm bis zur Taille reichte; als er sich wieder in der Gewalt hatte, machte er im Schuppen Licht und ließ sich unter der nackten Glühbirne mit einem Seufzer in den verschlissenen Korbstuhl sinken. Die Tür ließ er offen. Irgendwann war dieser Raum vielleicht als Lager oder als Werkstatt benutzt worden, vielleicht hatte in Tsjallingtsjes Haus einmal ein Zimmermann gewohnt. In Augenhöhe befanden sich einige Fenster.
    Er schenkte sich ein und wunderte sich amüsiert über die Rätselhaftigkeit des Daseins. Es war, als ob Tsjallingtsjes sechs Wörter seinem Leben einen neuen Impuls gegeben hätten. Seit er ›im Dienste‹ Onnos mit Quinten und Sophia auf Groot Rechteren wohnte, hatte sein ureigenes Leben nur noch in den Kategorien der Vergangenheit existiert, doch jetzt, schien ihm, war er um hundertachtzig Grad gedreht worden und stand plötzlich mit dem Gesicht zur Zukunft, wo er zwar nichts Konkretes unterscheiden konnte, da es sie ja noch nicht gab, wo aber dennoch irgendwo etwas da war wie eine dunkle Raum-Zeit voller wimmelnder Möglichkeiten.
    Mit einem Schlag hatte Tsjallingtsje das Ende einer verzwickten Konstellation eingeläutet, in der er siebzehn Jahre lang gelebt hatte. Ein Baby in einem Laufstall. Quintens Laufstall und das zerlegte Kinderbett mußten noch irgendwo im Keller stehen. Ihm war, als ob die Aussicht auf ein Kind, das ohne Zweifel von ihm sein würde, Quinten nun endgültig zu Onnos Sohn machte. In der Zeitung hatte er gelesen, daß es seit kurzem möglich sei, die Vaterschaft durch eine DNS-Untersuchung zweifelsfrei festzustellen, aber seine diesbezüglichen Ängste waren seit langem verschwunden. Äußerlich hatte Quinten weder Ähnlichkeit mit Onno noch mit ihm, nur an Ada, an die Ada vor dem Unfall, hatte er sich manchmal erinnert gefühlt, wenn er Quinten unbemerkt beobachtete, dessen geisteswissenschaftliche Interessen ohnehin viel stärker in Onnos Richtung zeigten als in seine. Daß Musik

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