Die Entdeckung des Himmels
Schönheitssalon habe, werde der Pöbel demnächst auch auf Klein Rechteren erscheinen und es herunterkommen lassen.
»Ich bin ein einfacher Mann aus dem Volk«, sagte er, »meine Großmutter war noch Wasser- und Feuerfrau in Utrecht und hatte Sand auf dem Fußboden, aber wenn ich zwischen Adel und Geldgesindel wählen soll, brauche ich nicht lange zu überlegen. Der Adel ist natürlich auch Pack, alle sind Pack, aber die Leute haben wenigstens Stil.«
»Du wirst alt, Theo«, sagte Selma.
»Und ob. Und das ist auch gut so.«
Quinten sah ihn an. Wie ein knorriger, eingeschneiter Tannenzapfen saß der Bildhauer in seinem Stuhl; der nackte rechte Fuß lag auf einem Schemel, der Knöchel war geschwollen, und die Haut hatte sich violett verfärbt, als wäre Kern in einen Topf mit Brombeeren gestiegen. Hatte der Adel Stil?
Quinten dachte an die Mütze von Herrn Roskams Vater, die dieser auf Geheiß von Rutgers Großvater hatte begraben müssen. Ja, das war vielleicht Stil, allerdings ein sehr eigenwilliger.
Andererseits hatte ihm der Baron eine Menge Geld vermacht, weil er das Grab von Deep Thought Sunstar gepflegt und Rutger das Weben beigebracht hatte. Vielleicht dachte die Aristokratie ja wirklich, daß es zwei Arten von Menschen gab: auf der einen Seite sie selbst, mit der Königin an der Spitze, und auf der anderen die einfachen Bürger. Darüber hätte er sich jetzt gerne mit seinem Vater unterhalten.
»Erinnerst du dich noch an die Ostereier«, fragte Selma, »die ihr, Arendje und du, immer unter den Rhododendren gesucht habt?«
Wie könnte er so etwas je vergessen! Sofort spürte er wieder die Zweige auf seinem Rücken, als er durch das feuchte Laub gekrochen war, in dem hier und dort etwas Buntes aufgeleuchtet hatte, vollkommen geformt wie der erlösende Einfall, wenn er über etwas nachdachte. Die Aufregung, Arendje könnte mehr Eier finden als er »Die schönsten habe ich immer aufgehoben«, sagte Sophia. »Soll ich sie holen?«
Als sie aus dem Zimmer gegangen war, sagte Theo zu Selma: »Weißt du, was Max mir einmal gesagt hat? ›Ein Huhn ist das Mittel, mit dem ein Ei das andere hervorbringt.‹ Ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang, aber den Satz habe ich nie vergessen.«
»Der arme Max –«, seufzte Selma.
Kurz darauf stellte Sophia ein großes altmodisches Bonbonglas mit breitem Hals und Schraubverschluß auf den Tisch.
Als sie erzählte, das Glas stamme noch aus der Hinterlassenschaft ihrer Mutter, starrte Kern auf den bunten Inhalt und schien seiner Rührung kaum Herr zu werden.
»Die sind Stück für Stück hier in diesem Zimmer bemalt worden, Kuku«, sagte er, »als ihr schon im Bett gelegen habt.
Von uns allen hier im Schloß.«
Nachdem Selma den Tisch abgeräumt hatte, legte Sophia die Eier behutsam auf den Tisch. Quinten wußte nicht, daß sie sie aufgehoben hatte, aber er erkannte seine Funde fast ausnahmslos wieder. Sorgfältig ordnete er sie in vier Achterreihen. Kern nahm seinen Fuß vom Schemel, setzte eine Lesebrille auf und beugte sich vor.
»Kannst du erkennen, wer welche bemalt hat?«
Quinten betrachtete sie aufmerksam und tauschte die Plätze mehrerer Eier aus. Plötzlich hatte er das Gefühl, sie eher in acht senkrechten zu vier als in vier waagrechten Reihen zu acht Eiern legen zu müssen. Kern, Max, Proctor, Themaat und Spier mit ihren Frauen, das waren zusammen zehn, minus Elsbeth Themaat und Judith Spier, die bestimmt deshalb nicht mitgemacht hatten, weil sie nie mit nach oben gekommen waren. Es wäre schön gewesen, wenn es von jedem vier Eier gegeben hätte, aber von Herrn Spier gab es nur eins: auf einer ansonsten unbemalten weißen Schale stand auf der einen Seite mit geschwungenen, roten Strichen A? und auf der anderen in blau Q? Das A bedeutete natürlich Arendje , aber Quinten mußte auf einmal an Ada denken. Themaat schrieb er drei Eier mit blassen, geometrischen Mustern zu: Karos, Kreise, Dreiecke. Die düsteren, dunkelbraunen, manchmal sogar schwarzen Eier mit den zuckenden Blitzen waren natürlich von Proctor, während sich Max vermutlich auf unvermischte, klare Farben beschränkt hatte, die jetzt auf irgendeine Weise, wie Quinten vorkam, auch seinen Tod enthielten. Über die Arbeit von Kern gab es keinen Zweifel: fachkundig gepinselte Clownsgesichter, Blumen und Tierköpfe. Auch Clara hatte es ihm leichtgemacht mit Abbildungen von Regenschirmen in allen Stadien des Öffnens. Mit Selma und Sophia tat er sich schwerer, die restlichen Eier waren alle
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