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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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überschaute man die ganze Innenstadt. Er zeigte Quinten den Palast auf dem Dam, wo Atlas den goldenen Himmelsglobus auf dem Rücken trug. Das kann nur jemand, dachte Quinten, der sich außerhalb der Welt befindet.
    Als ein schwarzes Mädchen in einem weißen Kittel ihnen Tee servierte, setzten sie sich einander gegenüber an einen langen Tisch, auf dessen einer Hälfte sich Stapel von Ordnern und Akten türmten.
    »Ich möchte dir noch mein Beileid zum Tod deines Pflegevaters aussprechen«, sagte Giltay. »Ich habe es in der Zeitung gelesen. Das hält man doch nicht für möglich, so was.«
    Konsterniert schüttelte er den Kopf. »Es geht mich natürlich nichts an, aber ist denn mit der Hinterlassenschaft alles gut geregelt?«
    »Das müßten Sie meine Großmutter fragen. Ich glaube, daß es Probleme gibt, weil er keine Verwandten hatte.«
    »Sag deiner Großmutter bitte, daß sie sich jederzeit mit mir in Verbindung setzen kann, wenn sie Hilfe braucht. Das kostet sie nichts. Ich bin sicher, ich handle damit im Sinne deines Vaters.«
    Quinten fixierte ihn.
    »Haben Sie es ihn denn nicht wissen lassen?«
    Giltay hielt einen Zuckerwürfel in den Tee und wartete, bis er sich vollgesogen hatte.
    »Nein.« Er ließ den Würfel fallen. »Ich kann nur in äußerst dringenden Fällen Verbindung mit ihm aufnehmen.«
    »Also weiß er gar nicht, daß Max tot ist?«
    »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat auch er es irgendwo in der Zeitung gelesen.«
    »Er ist also nicht in den Niederlanden?«
    Auf Giltays Gesicht erschien ein kurzes Lächeln, das aber sofort wieder verschwand. Ein paar Sekunden lang rührte er ernst in seiner Tasse.
    »Ich verstehe, worauf du hinauswillst, Quinten. Ehrlich gesagt, habe ich deinen Besuch schon früher erwartet. Ich wußte, daß du mir eines Tages hier gegenübersitzen würdest, und das habe ich deinem Vater seinerzeit auch gesagt. Aber wenn du jetzt von mir erfahren willst, wo er steckt, kann ich dir das nicht sagen.«
    »Ich schwöre, daß ich nie jemandem sagen werde, daß ich es von ihnen weiß. Ich kann ihm doch einfach zufällig irgendwo begegnen. So einen Zufall gibt es doch? Mein Pflegevater wurde von einem Meteoriten getroffen, das ist doch noch viel zufälliger!«
    »Allerdings«, nickte Giltay. »Nur liegt die Schwierigkeit nicht darin, daß ich es weiß, dir aber nicht sagen darf, sondern daß ich es wirklich nicht weiß. Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
    »Wie soll denn das gehen? In seinem Abschiedsbrief an Max hat mein Vater geschrieben, er sei in Notfällen immer über Sie zu erreichen.«
    »Das ist auch so. Aber nur über Dritte. Es sind noch zwei Adressen dazwischen. Die erste ist die eines Kollegen – im Ausland, ja, das hast du genau richtig verstanden. Aber der weiß nur eine Postfachnummer in wiederum einem anderen Land.
    Das könnten die Niederlande sein, aber ebensogut auch Paraguay. Angenommen, du kriegst mich so weit, daß ich dir erzähle, wer dieser Kollege ist, was nicht der Fall sein wird, aber selbst dann würde dir dieser Herr immer noch nicht weiterhelfen, weil er mit dir nichts weiter zu tun hat. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, daß er nur diese Postfachnummer in wieder einem anderen Land hat.« Er legte die Hände zusammen und sah Quinten an. »Vergiß es, mein Junge. Dein Vater hat seine Spuren gründlich verwischt. Irgend etwas Schreckliches ist mit ihm passiert; vielleicht gehst du am besten davon aus, daß er nicht mehr am Leben ist. Ich bin über deine Lage genauestens informiert. Ich weiß Bescheid über das entsetzliche Schicksal, das deine Mutter getroffen hat, ich weiß, was mit deinem Vater passiert ist und unlängst auch noch mit deinem Pflegevater – aber du mußt dich damit abfinden. Es gibt Jungen, deren Eltern ermordet wurden oder bei einer Flugzeugkatastrophe umgekommen sind, es ist alles gleich schrecklich, aber so ist das Leben nun einmal. Versuch es von dir wegzuschieben, und laß dich in deinem Leben nicht davon bestimmen.«
    Quinten machte eine unbeholfene Geste und sagte:
    »Wenn ich wüßte, daß mein Vater wirklich tot wäre, könnte ich mich auch damit abfinden. Aber er ist nicht tot, er befindet sich irgendwo auf der Erde, und in diesem Augenblick macht er irgend etwas. Vielleicht liest er gerade Zeitung, oder er trinkt auch eine Tasse Tee.« Er hielt inne. »Das heißt – sind Sie sich eigentlich ganz sicher, daß er noch lebt?«
    Giltay nickte.
    »Wenn es anders wäre, wüßte ich es, und du damit auch.«
    »Dann werde

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