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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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gesehen.« Er wollte nicht über seine Mutter sprechen und war plötzlich irritiert, daß ihn sein Vater danach fragen mußte. Sie hätte ja auch tot sein können. Oder war sie inzwischen vielleicht tot? Seine Oma wußte noch immer nicht, wo er war. Gleich würde Onno natürlich auch wissen wollen, wie es Max ging, und dann mußte er erzählen, was passiert war. Um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, fragte er: »Warum gehst du am Stock?«
    Onno nahm den Stock auf den Schoß und betrachtete ihn.
    Es war ein roh geschnitzter, knorriger Ast, dessen oberes Ende in einem verwitterten Pinsel auslief; der gebogene Handgriffwar kunstvoll zu einem Schlangenkopf geformt.
    »Schön, nicht? Habe ich bei einem Trödler entdeckt.« Langsam wandte er sein Gesicht Quinten zu und sagte: »Ich habe vor anderthalb Jahren einen leichten Schlaganfall gehabt.«
    Und als er sah, daß Quinten erschrak: »Keine Sorge, es ist vorbei. Aber es geschah an einer riskanten Stelle, im Thalamus, wie es heißt. Einige Zentimeter weiter vorne, und ich hätte im Rollstuhl gesessen, dem Neurologen zufolge hatte ich mehr Glück als Verstand. Kennst du das? Wenn man unter die Straßenbahn kommt und ein Bein wird einem abgefahren, muß man noch froh sein, daß es nicht beide Beine waren. Immer wenn einem etwas Schlimmes passiert, muß man von Glück reden und auch noch dankbar sein.«
    »Hattest du große Schmerzen?«
    »Überhaupt nicht. In Wirklichkeit ist überhaupt immer alles anders, als man sich das vorgestellt hat. Willst du es genau wissen?«
    Quinten zuckte die Schultern. Eigentlich wollte er es nicht wissen, aber er wollte die Frage nach Max möglichst lange hinauszögern.
    An einem kalten Wintertag, erzählte Onno, sei er nicht weit von hier einmal über die Straße gegangen. Plötzlich habe er gespürt, daß irgend etwas passieren werde: Es war, als ob er gar nicht mehr war, wo er war, die linke Hand fing an zu prickeln, und kurz darauf auch der linke Fuß. Es war ein Gefühl, als seien ein paar Steinchen im Schuh, aber nach einer Minute war der ganze Schuh voll davon, und alle Steinchen zusammen waren der linke Fuß. Wieder eine Minute später begriffer, daß etwas nicht stimmte. Sein ganzes linkes Bein, seine linke Seite und die linke Gesichtshälfte waren taub. Da alles links passierte, dachte er an sein Herz, aber er hatte keine Schmerzen in der Brust, nur leichte Kopfschmerzen, aber sie waren so geringfügig, daß es nicht einmal notwendig war, ein Aspirin zu nehmen. Ab und zu mußte er kurz stehenbleiben. Als er seinen Puls fühlte, raste sein Herz so schnell, daß es unmöglich war, mitzuzählen. Er versuchte, den linken Handschuh auszuziehen, aber er trug nie Handschuhe und bemerkte schließlich, daß er an den Fingern zog. An den Gesichtern der Leute, die ihm entgegenkamen, versuchte er abzulesen, ob ihm etwas anzusehen war, aber er sah keine besondere Reaktion. Er wußte jedoch, daß er jetzt in einer anderen Welt verkehrte als sie. Er setzte sich auf den Gehsteigrand.
    Eine Frau fragte, ob sie einen Krankenwagen rufen solle. Er sagte, das sei nicht nötig, aber sie tat es trotzdem, und kurze Zeit später wurde er mit heulenden Sirenen ins Krankenhaus gefahren. Dort schoben sie ihn in eine Art riesigen, rotierenden Backofen, um Aufnahmen von seinem Gehirn zu machen.
    Drei Tage später war er wieder zu Hause.
    »Ich durfte nicht mehr rauchen und nicht mehr trinken.
    Ja, drei Gläser Wein am Tag, aber mit diesem Quantum ist man eigentlich schon Abstinenzler. Die linke Körperhälfte ist immer noch ein bißchen taub, und mir ist praktisch immer schwindlig, wenn ich gehe. Vielleicht legt sich das mit der Zeit, aber wenn man älter wird, legt sich meistens nichts mehr.
    Deshalb jetzt also der Stock. Es geht zwar auch ohne, aber ich fühle mich sicherer damit.«
    »Wie kam das, daß du plötzlich einen Schlaganfall hattest?«
    »Erinnerst du dich, daß ich mich früher mit dem Entziffern alter Schriften beschäftigt habe? Ich habe irgendwann einmal eine Theorie über das Etruskische veröffentlicht, für die ich damals das Ehrendoktorat erhielt.«
    »Ja, Tante Dol sagte letztens, sie habe das auf deine Anweisung hin zurückgeschickt.«
    »Dol«, wiederholte Onno laut. »Wie geht es Dol?«
    »Sie wohnen neuerdings auf Menorca.«
    Onno sah sich in dem Raum, der sich immer mehr mit Touristen füllte, melancholisch um.
    »Du weißt vielleicht auch, daß ich mich nach dem Etruskischen dem Diskos von Phaistos gewidmet habe, aber dafür

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