Die Entdeckung des Himmels
belebende Wasser hervorsprudelte, Tränen liefen ihm über das Gesicht, Onno hingegen fingerte nervös am Namensschild auf seinem Revers.
»Lach nicht, du Idiot! Wir müssen das unverzüglich ungeschehen machen, alles erklären, und dann nichts wie weg hier.
Wir schweben in Lebensgefahr, Mensch!«
» Vivere pericolosamente «, sagte Max, während er sich mit gerötetem Gesicht aufsetzte.
»Was meinst du wohl, was passiert, wenn die herausfinden, daß wir hier gar nicht hingehören? Sieh sie dir doch an. Das sind keine Jungs, mit denen man einen Jux macht. Stell dir vor, die kommen auf die Idee, daß wir von der CIA sind.«
»Und du wolltest die Niederlande verändern?«
»Ja, aber nicht auf die Art!« sagte Onno und zeigte auf die Säule mit den Waffen. »Ich bin ein revisionistischer Sozialfaschist, der ausschließlich darauf aus ist, die Revolution zu verhindern und das Proletariat in ewiger Knechtschaft zu halten, ein Wurm, eine Hyäne, ein Lakei des Kapitalismus, vom CIA bezahlt, der auf dem Misthaufen der Geschichte enden wird. Diese Art von Aasgeiern wird hier ohne Pardon an die Wand gestellt.«
Der letzte Satz war ihm entwischt. Er warf einen schnellen Blick auf Max, aber der nickte nur lachend.
»Und das zu Recht. Aber vielleicht kann man es auch anders sehen. Du bist ein braver niederländischer Sozialdemokrat, der die Niederlande verändern möchte auf die einzige Weise, in der das in den Niederlanden möglich ist, und das ist auf die niederländische Weise. Das wird hier verdammt gut verstanden, glaube ich, vor allem, wenn sich das in Entwicklungshilfe für Kuba niederschlägt. Und daß du auf jeden Fall Bescheid weißt, companero , ich werde in die vierte Arbeitsgruppe gehen. Ich werde schon sehen, was ich mache.
Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich jetzt kneifen würde.
Im Leben kann immer alles passieren, das zeigt sich jetzt einmal mehr. Vielleicht bombardieren die Amerikaner morgen früh während der Plenarsitzung ja das Hotel, und dann passiert gar nichts, denn Moskau ist diese Art von Leuten natürlich auch lieber los. Wenn du mich fragst, ist das hier der reinste Trotzkismus.«
»Aber Max«, sagte Onno, »wenn mein Vater das erfährt.
Sein Sohn im teuflischen Havanna als Delegierter eines Kongresses der revolutionären Weltelite!«
»Daß es eine Elite ist, wird ihm gefallen. Du bist verrückt, wenn du dir diese einmalige Chance entgehen läßt. Du lernst die Leute kennen und bekommst einmal eine andere Seite der Politik gezeigt, nicht nur diesen holländischen Kinderkram. Neben mir bist du demnächst der einzige, der weiß, wovon er spricht, wenn es um diese Dinge geht. Vielleicht kommen diese Leute in einigen Jahren rudelweise auf Staatsbesuch nach Holland, Onno Quits, und dann mußt du mit ihnen vielleicht die Ehrenwache abschreiten.«
»Schon gut«, sagte Onno gelassen und schlug die Mappe mit den Unterlagen auf, »ich laß mich wieder mal von dir beschwatzen. Aber die Folgen gehen auf dein Konto. Übrigens, der Botschafter hier ist mit einer Großcousine von mir verheiratet, einer gewissen Van Lynden; das kann vielleicht nützlich sein, falls was schiefgeht. Und ich als Jakobiner gehe natürlich nicht in so eine halbseidene Arbeitsgruppe wie du, sondern in die erste: La lucha armada! Der bewaffnete Kampf!«
Nachdem sie sich eingetragen und beim Kassierer Dollars getauscht hatten, nahmen sie ihre Schilder ab und gingen in den schwülen Abend. Schräg gegenüber, in einem Park, standen lange Schlangen an einem großen Eispalast, Coppelia , der aussah wie eine soeben gelandete fliegende Untertasse. Auf dem Rasen nebenan war eine bemannte Batterie mit Luftabwehrgeschützen postiert; auch auf dem Dach ihres Hotels sahen sie den langen Lauf einer Kanone.
»Was ist schöner«, sagte Max, »als das Drohen einer Katastrophe?«
»Der Friede, du Blödmann, der Friede.«
»Ich sage nicht die Katastrophe, sondern das Drohen der Katastrophe. Vielleicht kann auch die Politik letztendlich auf die Ästhetik zurückgeführt werden, wie die Wissenschaft.
Vielleicht ist das wichtigste Kriterium in der Welt nicht die Wahrheit, sondern die Schönheit.«
Während sie über die belebte Rampa gingen, die sich leicht zum Meer neigte, sah Onno nachdenklich und mit der Zunge zwischen den Backenzähnen auf die Steinplatten. Ein Gedanke hatte für ihn immer mehr Realität als das Sichtbare.
Max hingegen, der den Gedanken ohne zu überlegen ausgesprochen hatte, sog alles gierig in sich auf.
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