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Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Watts
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Nicken mit Timmy vom Winns austauschte, schlüpfte in Onkel Silas’ Zelt.
    Alistair sah Tibby an. Im Licht des flackernden Feuers konnte er erkennen, dass ihr die Augen allmählich zufielen und ihr Kinn auf die Brust sank. Er wollte gerade vorschlagen, dass sie zu ihrem eigenen »Lager« unter der Trauerweide zurückkehren sollten, da murmelte Timmy vom Winns: »Weißt du, warum du auf Wanderschaft bist, kleiner Bruder?«
    Alistair war etwas überrascht und sagte: »Ja.« Er war auf dem Rückweg nach Hause, nach Smiggins, heim zu Alice und Alex und zu Onkel und Tante.
    »Hast du auch an die gedacht, die du zurückgelassen hast?«, fragte Timmy vom Winns mit dem gleichen Murmeln.
    Was für eine merkwürdige Frage. Diejenigen, die er zurückgelassen hatte, waren doch die, zu denen er sich aufgemacht hatte. Er nickte fast unmerklich.
    Timmy sah Alistair eindringlich an. Seine dunklen Augen schimmerten im Licht des Feuers. »Vielleicht solltet ihr mit uns reisen«, schlug er vor. »Das hier ist keine Gegend, in der zwei junge Mäuse allein herumirren sollten.«
    Alistair hatte fast den Eindruck, als würde sich der nachtblaue Mäuserich Sorgen um sie machen. Beklommenheit ergriff ihn – er hatte bisher eher gedacht, dass Timmy vom Winns ein ganz unbekümmerter Geselle war. Dennoch schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Aber vielen Dank.« Obwohl es sicherer wäre, mit Timmy und den anderen zu reisen, wusste Alistair, dass er und Tibby allein schneller vorankamen.
    Er warf Timmy einen Blick zu, um auf seine Antwort zu warten, aber Timmy starrte auf einmal Alistairs Schal an.
    »Das ist ein schöner Schal, mein Freund«, stellte er fest. »Ist lange her, seit ich so einen gesehen habe.«
    Alistair zupfte verlegen an den Enden seines Schals. »Er war ein Geschenk von meiner Mutter«, sagte er.
    »Von deiner Mutter«, wiederholte Timmy. Alistair fand, dass er fast traurig aussah.
    Timmy starrte den Schal noch eine Weile an und ließ den Blick über das seltsame Muster gleiten, dann griff er nach seiner Fidel und sagte: »Nur noch ein Lied, ehe wir uns trennen. Ich singe euch ein Lied vom Winns ...«
    »Was ist der Winns?«, fragte Alistair.
    »Der Winns«, erwiderte Timmy verträumt, »der Winns ist ein Fluss und noch mehr als das. Er ist wie das Rückgrat, das unseren Kopf mit unseren Füßen verbindet. Seine Adern laufen durch unser Land und sein Wasser rinnt durch unsere Adern.« Er spielte einen klagenden Ton auf der Fidel. »Über den Wipfeln, unter der Flur – der Winns ist mit euch, rund um die Uhr.«
    Er schloss einen Moment die Augen, dann bewegte er den Bogen sanft über die Saiten. Nach ein paar Tönen begann er zu singen:
    »Von Bergkamm zu Fels, von Baum zu Tal
    Hört ihr die Lieder allzumal;
    Entschlüsselt das Land und folgt den Zeichen,
    Lest den Fluss, um das Heim zu erreichen.«
    Alistair merkte, wie ihn die melancholische Melodie anrührte. Sie klang schmerzlich vertraut, und doch konnte er schwören, das Lied noch nie zuvor gehört zu haben. Er merkte, wie er mitsummte, als Timmy vom Winns den Refrain sang:
    »W o der Winns mich hinführt, dort will ich sein,
    Denn ich und der Winns, wir sind immer eins.«
    Während die letzten Töne in die Nacht schwebten, wurde Alistair von einer Traurigkeit ergriffen, die er sich nicht erklären konnte.
    Es war nicht einfach Heimweh nach Smiggins, nach Bruder und Schwester und Onkel und Tante. Nicht mal Heimweh nach seinen Eltern und ihrem honigfarbenen Haus in Stubbins. Er hatte das Gefühl, Heimweh nach einem Ort zu haben, an dem er noch nie gewesen war und den er vielleicht nie sehen würde.
    Timmy unterbrach seine Traurigkeit. »Ich kenne nicht das ganze Lied«, sagte er. »Nicht die Strophen, die eigentlich wichtig sind.« Er legte die Fidel nieder. »Nun gut, wenn ihr entschlossen seid, eure eigenen Wege zu gehen, wird es Zeit, dass ihr aufbrecht, du und das Mädchen.«
    Alistair hatte sich schon Sorgen gemacht, wie sie im Dunkeln den Weg zurück finden sollten. Und noch mehr Sorgen bereitete es ihm, dass sie die Brücke allein überqueren mussten. Doch da stand Timmy vom Winns auf. »Ich begleite euch«, sagte er.
    Alistair stieß die schlafende Tibby an. Die beiden dunkelvioletten Mäuse erhoben sich und bedankten sich bei Mags, die gerade wieder aus dem Zelt getreten war, für das Abendessen. Sie lächelte und drückte Alistair einen Stoffbeutel in die Hand. »Für eure Reise«, sagte sie. Nachdem sie sich von Mags und Griff verabschiedet hatten –

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