Die Entfuehrung
durch eine Glastür, aber nach zwanzig Zentimetern wurde sie von der Brüstung eines französischen Balkons aufgefangen. Hinter und unter ihr befand sich der zentrale Innenhof des Hotels. Auf der anderen Seite des Flurs stand Vincent Gambrelli und starrte sie an
Halb auf dem Rücken liegend, legte sie die Pistole auf ihn an. »Keinen Schritt weiter«, sagte sie.
Er stand in der Tür gegenüber, drei Meter von ihr entfernt. Er zog sich die Atemschutzmaske vom Gesicht und legte sie weg. In seiner Montur wirkte er riesig. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch den Sauerstoffbehälter auf seinem Rücken.
»Hören Sie auf mit den Mätzchen«, sagte er höhnisch, »Sie erschießen mich ja doch nicht.«
Sie richtete sich auf, stand jetzt auf dem Balkon und zielte auf sein Gesicht. Sie warf einen Blick in den Hof, zu dem es fünfzehn Meter hinunter ging in das Labyrinth eines englischen Gartens mit Wegen, die von schmiedeeisernen Zäunen mit spitzen Pfählen umgeben waren. Die Angst, hinunterzufallen, ließ sie einen Schritt vortreten. »Ich töte Sie, wenn Sie näherkommen.«
»Und was hätten Sie davon? Peter ist tot. Ich bin der einzige Überlebende, der weiß, wo Emily ist.«
»Sie Dreckschwein. Wo ist sie?«
Das Funkgerät knisterte in ihrer Tasche. Dieses Mal war ihr die Stimme vertraut. »Allison, hier spricht Harley Abrams. Wo sind Sie?«
»Wagen Sie es nicht, sich zu melden«, sagte Gambrelli.
Sie hielt mit beiden Händen die Pistole.
»Ich habe hier die Kontrolle, Allison. Nicht Sie. Und auch nicht Abrams. Nur ich weiß, wo Emily ist. Sie können mich nicht töten. Sie wissen genau, dass Sie mich nicht töten können.«
Wieder rauschte das Funkgerät. »Allison, hier spricht Harley. Wo sind Sie?«
Gambrelli hörte es. Sie hörte es. Allison rührte sich nicht. Er machte einen Schritt nach vorn.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!« rief sie
»Sonst?« spottete er. »Sie bringen mich nicht um. Sie werden nicht mal den FBI-Leuten sagen, wo Sie sind, aus Angst, die könnten mich umbringen. Sie kommen hier ganz alleine rauf, weil Sie keinem zutrauen, das hier zu erledigen. Und Sie wissen genau, dass Sie Emily nie finden werden, wenn ich tot bin.«
Ihre Hände zitterten. Sie würde ihn am liebsten erschießen - den Mann, der sich in ihr Haus geschlichen und ihr schlafendes Baby aus dem Kinderbett genommen hatte. Aber sie wusste, dass er recht hatte. Sie konnte ihn nicht töten. Nicht, solange sie hoffte, Emily zu finden.
Gambrelli machte noch einen Schritt. »Sie sind doch ein kluges Weib, geben Sie mir schon die Waffe. Wir beide marschieren dann zusammen hier hinaus.«
Ihr Finger zuckte am Abzug. Todesangst beschlich sie. Sie konnte ihm die Pistole nicht geben. Sie konnte sich nicht zur Geisel machen lassen. Aber sie konnte auch nicht Emily aufgeben.
Das Funkgerät krächzte wieder. »Allison, vielleicht können Sie mich ja hören. Diese Fotos haben uns auf die Spur geführt. Wir haben Emily gefunden. Sie lebt in New York, und es geht ihr gut.« Ihre Augen leuchteten.
Gambrelli stand die Panik ins Gesicht geschrieben. Verzweifelt sprang er vorwärts, um die Waffe zu packen. Allison wurde rückwärts gegen die Balkonbrüstung geschleudert, diesmal noch härter. Mit dem Gewicht seiner Ausrüstung war Gambrelli wie ein Hochgeschwindigkeitszug, der nicht zu stoppen war. Auf dem Rücken liegend spürte sie, wie er auf sie zustürzte. Mit aller Kraft riss sie an seinem Mantel, um den Schwung vorwärts auszunutzen. Im Bruchteil einer Sekunde flog er über ihren Kopf, über das Geländer vom Balkon hinunter und schrie wie am Spieß. Sie drehte sich um und sah, wie er in den Hof fiel, auf die gewundenen Spazierwege mit ihren schmiedeeisernen Zäunen und spitzen Pfählen zu. Er stürzte rücklings, der Sauerstoffbehälter zog ihn mit seinem Gewicht nach unten. Er flog genau auf den Eisenzaun zu, und die scharfen Spitzen bohrten sich in den Tank. Die Explosion des vom Feuer erhitzten komprimierten Sauerstoffs erschütterte sogar den Balkon fünfzehn Meter weiter oben. Allison musste sich gegen umherfliegende Trümmer schützen, dann blickte sie nach unten. Teile der zerfetzten Feuerwehrmontur lagen über den Hof verstreut.
Victor Gambrelli war verschwunden. Völlig verschwunden.
Allison zitterte beim Anblick, der sich ihr von oben bot. »Das war für Emily.
Epilog
Am Montagabend wurden die Nachrichten im ganzen Land vor einem von Flammen erleuchteten Hintergrund gesendet. Dass das Hotel St. George dem Feuer
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