Die Entfuehrung
damit begründet, dass es im Untergeschoß des Justizministeriums eine hervorragende Cafeteria gab. Allison bestellte von dort telefonisch eine Suppe und einen Salat, und um fünfzehn Uhr stellte ihre Sekretärin das Gewünschte mitsamt einer Büchse Diät-Cola auf den Schreibtisch. Das Telefon klingelte genau in dem Moment, als sie die Büchse öffnete. Vor Schreck verschüttete sie die Cola über ihren Teller. Ein grüner Salat mit einer Sauce aus Himbeer-Cola-Vinaigrette war eine seltene Verlockung, aber sie schob ihn beiseite bei dem Gedanken, dass sie ohnehin genug Koffein in ihren Venen hatte.
Ihre Sekretärin platzte ins Büro. »Harley Abrams auf Apparat drei.«
Allison nahm den Hörer auf. »Was haben Sie herausgefunden?«
»Ich habe gerade mit unserem Außendienstmann in Miami gesprochen. Sie können O'Brien nicht finden.«
»Was soll das heißen, sie können ihn nicht finden? Sie sind das FBI.«
»Sie haben sein Apartment überprüft. Niemand zu Hause. Sie waren unten im Yachthafen. Anscheinend betreibt er dort eine Bootsvermietung.«
»Stimmt. Mitch war früher Straf Verteidiger in Chicago. Vor ein paar Jahren fühlte er sich ausgebrannt und nahm sich Zeit, die Welt zu umsegeln, ganz allein. Als er zurückkam, hat er seine Kanzlei aufgegeben, zog nach Miami und fing an, Segelboote zu vermieten.«
»Also, in den letzten beiden Wochen hat er kein einziges Boot vermietet. Es ist nicht ganz einfach, Einzelheiten über einen Typen herauszubekommen, der allein lebt und allein arbeitet, aber das letzte Mal wurde er ein paar Tage vor Halloween gesehen.« »Vielleicht macht er wieder einen Segeltörn.« »Vielleicht. Aber der Zeitpunkt ist ein bisschen verdächtig.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Ich weiß nicht. Aber es gibt etwas, das Sie tun könnten
Zwischen der Entführung Ihrer Tochter und dieser Entführung gibt es einen bedeutenden Unterschied - Sie haben nie eine Lösegeldforderung erhalten. Aber die Geschichte mit O'Brien macht mich stutzig. Ich könnte es jemand anders machen lassen, aber Sie wissen mehr als irgendwer sonst über Ihre Tochter, und die Zeit läuft uns davon.«
»Ich kann es machen. Um was geht's?«
»Ich möchte, dass Sie sich die Akten noch einmal vornehmen, die Zeitungsartikel, alles, was Sie über Emilys Entführung haben. Und ich möchte, dass Sie nach Parallelen zu diesem Fall suchen - und zwar so intensiv wie möglich.«
»Wonach soll ich suchen?«
»Ich werde eine Liste zusammenstellen und sie Ihnen zu-faxen.«
»In Ordnung. Man drängt mich zwar, den Wahlkampf wiederaufzunehmen, aber ich kann es bestimmt zugunsten dieser Sache ablehnen. Ich meine, wenn Sie wirklich denken - ach, vergessen Sie es.«
»Wenn ich was denke?«
Ihr Herz schlug höher, aber sie traute sich kaum zu fragen. »Harley, nehmen wir einfach mal an, dass eine Verbindung besteht. Wir kennen beide die Statistiken über Kindesentführung - je mehr Zeit vergeht, desto geringer sind die Chancen, die Kinder aufzufinden. Aber wenn Sie mal die Fakten, die gegen uns sprechen, weglassen und nur auf Ihren Bauch hören, glauben Sie, dass nach all den Jahren ernsthaft eine Chance besteht, Emily noch zu finden?«
Er dachte einen Moment nach und wählte dann seine Worte mit Bedacht. »Lassen Sie uns einen Schritt nach dem anderen machen, ja?«
Sie nickte vorsichtig und betrachtete das alte Foto von sich und Emily, das auf dem Bücherschrank stand. »Ja. Einen Schritt nach dem anderen.
Tanya und ihre Mutter saßen schweigend im Wohnzimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, und der Fernseher war abgeschaltet. Eine Lampe auf dem Beistelltisch sorgte für die einzige Beleuchtung. Die Uhr auf dem Sims über dem gemauerten Kamin tickte leise. Tanya betrachtete nervös ihre Hände. Als auf der anderen Straßenseite der Hund eines Nachbarn bellte, sprang sie auf.
Ihre Mutter sah sie mit besorgter Miene an. »Liebling, versuch doch, ein bisschen zu schlafen.«
Tanya sah mit glasigem Blick auf. Sie schüttelte nur den Kopf.
Als das Telefon klingelte, schreckten beide hoch. Tanya erhob sich und nahm den Hörer ab. »Hallo«, sagte sie.
» General Howe hat die Spielregeln nicht eingehalten.« Die Stimme war tief und entstellt, verändert durch irgendein technisches Gerät, wie bei den anonymen Informanten, die man von Fernsehnachrichten kannte. Sie riss die Augen weit auf. »Wer ist da?«
»Ich bin der Landesvorsitzende der Vereinigung zur Rettung von Kristen. Ich rufe wegen einer Spende an.« »Sind Sie
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