Die Entlarvung
sagen. Sie würde mir sonst auch noch Ärger machen. Zu dumm, daß sie einen solchen Narren an Ihnen gefressen hat. Ab wann wollen Sie freinehmen?«
»Am liebsten ab Montag.«
Sie hatte sich Evelyn nur teilweise anvertraut. Vielleicht konnte er ihr noch etwas entlocken. »Wohin soll es denn gehen? In die Sonne, nehme ich an …«
»Nein, ich besuche Verwandte, das ist alles. Ich danke Ihnen, Lord Western.«
»Danken Sie nicht mir«, murrte er, »danken Sie Evelyn. Aber denken Sie daran, noch vor Weihnachten. Ich nehme Sie beim Wort.«
»Sie brauchen mich nicht zu erinnern«, erwiderte Julia. »Ich werde es bestimmt nicht vergessen.«
Sie fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter auf ihren Stock. In ihrem Büro ließ sie sich in einen ihrer großen Sessel fallen.
»Was für ein Mistkerl«, entfuhr es ihr. »Wenn sich bestätigt, was ich vermute, wird er sich nicht mehr so großspurig aufführen. Dafür sorge ich. Denn dann kommt unsere Stunde, Bens und meine …«
Harold King hatte zu einem außerordentlichen Vorstandstreffen in seinem privaten Penthouse eingeladen. Für Gelegenheiten wie diese benutzte er sein Wohnzimmer, nicht den großen Konferenzraum, der sich ein Stockwerk tiefer befand. Das Wohnzimmer eignete sich besser für Geschäfte, die sich an der Grenze der Legalität bewegten. Der Raum allein flößte den Vorstandsmitgliedern so viel Respekt ein, daß sie zu allem ja und amen sagten, was Harold King ihnen vorschlug.
Gloria sollte ebenfalls an dem Treffen teilnehmen. Sie war in den Vorstand des Rentenfonds aufgenommen worden. King baute auf ihre Unterstützung bei den bevorstehenden Aufgaben. Die millionenschweren Einlagen, die für Kings Angestellte zurückgelegt worden waren, mußten auf eine Investmentgesellschaft transferiert werden, über die King und seine Tochter gemeinsam die Kontrolle ausübten. Nach dieser Transaktion würde King erneut nach New York fliegen und die Geschäfte mit der Field Bank zum Abschluß bringen.
Danach würde die Familie – wie jedes Jahr – in den Weihnachtsurlaub nach Gstaad aufbrechen. Er besaß dort ein Haus. Marilyn und Gloria liefen beide Ski. Gloria hatte auf den Abfahrtspisten ein überraschendes Geschick und Talent bewiesen, das King ihr gar nicht zugetraut hätte. Er selbst schnallte sich die Skier schon seit ein paar Jahren nicht mehr an. Ein schwerer Sturz, der ihn für Wochen außer Gefecht gesetzt hatte, war ihm Lektion genug gewesen. Er begnügte sich damit, in der Sonne zu sitzen und seine Biographien und Reisebücher zu lesen. Er liebte die Schweiz. Das Land erinnerte ihn an seine Heimat.
Gloria war sehr still an diesem Morgen. An dem Tag nach ihrer Auseinandersetzung hatte er sie kurz gefragt, ob sie sich Leo Derwent vom Hals geschafft habe, woraufhin sie etwas zögernd genickt und versichert hatte, daß sie ihn nicht wiedersehen würde.
King hatte nicht länger an die Angelegenheit gedacht. Seine Tochter hatte ihn noch nie getäuscht oder seine Anordnungen mißachtet. Er wunderte sich, daß Gloria so niedergeschlagen wirkte, wo sie eigentlich Anlaß zur Freude gehabt hätte. Während sie auf die anderen Vorstandsmitglieder warteten, fragte er sie: »Was ist los mit dir, Liebling? Du bist nicht wie sonst. Hast du deine Periode?«
Gloria zögerte. Sie war unglücklich, weil sie ihren Vater belogen hatte. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich unaufhörlich. Andererseits hatte eine Besessenheit von ihr Besitz ergriffen, die sie vorher nie gekannt hatte. Sie liebte ihren Vater, er war ihre Welt. Aber die Beziehung zu Leo betrachtete sie nicht als Vertrauensbruch. Mit ihren Gefühlen für den Vater hatte das überhaupt nichts zu tun. Die Treffen waren harmlos. Nichts war zwischen ihnen vorgefallen. Sie sahen sich ein- bis zweimal die Woche, gingen ins Kino oder ins Theater. Manchmal besuchten sie ein diskretes Restaurant, in dem sie niemand kannte. Die Begegnungen verliefen so harmlos, weil Leo keinerlei Annäherungsversuche unternahm. Die Vorstellung, mit einem Mann ins Bett zu gehen, hatte sie immer angeekelt. Bei Leo war dies jedoch etwas anderes. Der Gedanke an seine Praktiken lockte sie, verfolgte sie regelrecht. Sie hatte nicht einmal das Zusammensein mit einer älteren Frau genießen können, die sie vor kurzem kennengelernt hatte.
Sie war ruhelos und unzufrieden. Die Frau hatte sich bald eine andere Liebhaberin gesucht. Gloria holte tief Luft. »Daddy«, begann sie, »Daddy, sei mir nicht böse, aber ich muß dir etwas sagen.«
King ging
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