Die Entlarvung
genug?«
»Natürlich … so vornehm geht es hier auf Jersey nicht zu. Egal, was du anziehst, du siehst immer wundervoll aus. Das weißt du doch.«
Der Abend verlief fröhlich und entspannt. David Peterson bereitete Julia einen großartigen Empfang, machte sogar eine Flasche Champagner auf, um ihre Ankunft zu feiern. Zusammen mit den Gästen – einem pensionierten Diplomaten und seiner Frau – saßen sie um den großen Tisch in der geräumigen Küche. Der Diplomat berichtete über seine letzte Amtszeit in Rio de Janeiro und gab eine amüsante Anekdote nach der anderen zum besten. Janey erzählte von der Einladung bei Richard Watson. Das Diplomatenehepaar versicherte Julia, daß sie ihren Gastgeber mögen würde. Daß es sich um einen sehr interessanten, charmanten Mann handle. »Das kann ich nur bestätigen«, bekräftigte David. »Ich habe immer gedacht, daß aus ihm und meiner Mutter etwas hätte werden können. Aber leider ist es dazu nie gekommen. Sie hat ihn sehr gern gehabt.«
»Er ist schon so lange verwitwet«, bemerkte die Frau des Diplomaten. »Wahrscheinlich hat er sich zu sehr daran gewöhnt, allein zu leben. Er ist immer wieder von Frauen umworben worden, hat aber nie darauf reagiert. Vielleicht haben auch seine Erlebnisse als Kriegsgefangener etwas damit zu tun. Viele sind dadurch sehr geprägt worden. Mein Bruder zum Beispiel. Er war bei den Japanern in Gefangenschaft. Grauenhaft muß es dort zugegangen sein. Er ist nach Hause gekommen und hat sich der Kirche angeschlossen. Heute ist er Pfarrer in Norfolk. Er gehört der anglikanischen Kirche an, ist nie verheiratet gewesen. Dafür liebt er Weihrauch und Kirchenglocken. Erstaunlich … Aber er scheint ganz zufrieden zu sein.«
»Was wohl das wichtigste ist«, entgegnete David leicht pikiert.
Julia wunderte sich über seinen Tonfall, erinnerte sich dann jedoch daran, daß er – im Unterschied zum Rest der Familie – regelmäßig in die Kirche ging. Je mehr sie über Richard Watson erfuhr, desto neugieriger wurde sie. In seinem kleinen Buch hatte nichts darauf hingedeutet, daß er sich auf irgendeine Weise von den unzähligen anderen Männern unterscheiden könnte, die in den vierziger Jahren als Offizier gedient hatten. Nun allerdings war sie vorgewarnt. Watson gehörte offensichtlich nicht zu der Sorte älterer Herren, die freigiebig aus dem Nähkästchen plauderten. Sie würde behutsam vorgehen müssen.
Bevor sie zu Bett ging, erhielt sie noch einen Anruf von Ben. Janey nahm das Gespräch entgegen. Verschwörerisch lächelnd sagte sie zu Julia: »Ich glaube, dein Freund ist am Apparat. Du kannst das Telefon oben benutzen, wenn du möchtest.«
»Ja, danke«, erwiderte Julia. »Das Angebot nehme ich gerne an.«
Seine Stimme klang warm und vertraut. Sie fühlte einen schmerzhaften Stich, als sie sie hörte.
»Wie geht es dir? Kommst du voran?«
»Mir geht es gut. Alles läuft besser, als ich gedacht habe. Ich treffe unseren Mann morgen abend. Janey hat das für mich arrangiert. Die beiden sind so nett zu mir. Ich fühle mich richtig mies, daß ich sie eigentlich nur ausnutze. Du fehlst mir, Ben. Wirklich.«
»Du mir auch«, gab Ben zurück. »Die Wohnung ist furchtbar leer ohne dich. Pussy ist auch ganz todunglücklich. Wir haben uns zu sehr an dich gewöhnt. Bring dieses Interview hinter dich und komm, so schnell du kannst, zurück. Mir gefällt es nicht, daß du allein unterwegs bist. Ist dir wirklich niemand in die Maschine gefolgt?«
»Nein, ich denke nicht. Aber falls King uns noch beobachten läßt, suchen seine Leute jetzt wahrscheinlich schon die Insel nach mir ab. Ich muß mit Watson sprechen, bevor sie mich finden. Danach lasse ich mir irgendeine Ausrede einfallen und komme nach Hause. Paß auf dich auf, ja?«
»Du auch«, erwiderte er. »Ich liebe dich. Ruf mich morgen nach dem Gespräch mit Watson an. Egal, wie spät es ist, hörst du?«
Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, nahm er die Katze auf den Schoß und blätterte erneut in dem Buch, dessen Cover den jungen Offizier Richard Watson zeigte. Bei dem Gruppenfoto in der Mitte des Bandes hielt er inne. Es gab sicher nur wenige Soldaten, die ihre Erinnerungen in dieser Form festgehalten hatten. Ein paar Dutzend vielleicht, mehr bestimmt nicht. Aber wenn er dieses Buch hatte aufstöbern können – dank des Tips, den er von seinem Freund aus dem Kriegsministerium erhalten hatte – warum sollte dies nicht auch jemand anderem gelingen? Jemandem, der ein ausgeprägtes
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