Die Entlarvung
Lebens verbracht. Ich ärgere mich oft, daß ich nicht Berufssoldat geworden bin. Für den Krieg war ich damals noch zu jung, aber der Wehrdienst hat mir gut gefallen.«
Zustimmung heischend blickte er in die Runde.
»Sehen Sie das auch so, Richard?« fragte Julia leise. »Ihr Buch liest sich nämlich etwas anders.«
Richard blickte sie an, wandte sich dann schnell wieder ab.
»Ich habe die Armee gehaßt«, stieß er hervor. »Die Armee und alles, was mit ihr zusammenhing. Ich bin kein guter Soldat gewesen. Der Gedanke, jemanden töten zu müssen, war mir schrecklich. Ich konnte kein Blut fließen sehen.«
»Haben Sie denn jemals getötet?«
Er zögerte einen Moment. »Nein«, sagte er dann. »Aber ich habe jemandem das Leben gerettet.«
»Jemandem von unserer Seite?« fragte David Peterson.
»Nein. Einem Deutschen.«
»Wie? Wie haben Sie ihn gerettet?« hakte Julia eilig nach.
»Ich habe meinen Feldwebel daran gehindert, ihn umzubringen.«
»Großer Gott …« Bob Thomas lehnte sich aufgeregt vor. »Das mußt du uns genauer erzählen.«
»Wie aufregend«, murmelte seine Frau, aber niemand beachtete sie.
»Abgespielt hat sich das Ganze in der Sahara. Wir waren auf der Flucht vor Rommels Truppen und hatten unglücklicherweise unsere Einheit verloren. Unser Ziel war Tripolis, dorthin wollten wir uns durchschlagen. Wir waren zu siebt. Mein Hauptmann, Tim Phillips, ich, der Feldwebel und vier Soldaten. Überall in der Wüste fuhren Patrouillen herum, die nach der Schlacht aufräumten. Wir haben diesen Deutschen unterwegs aufgelesen. Er hatte eine leichte Wunde am Bein und war unbewaffnet. Ich würde sagen, daß er desertiert war. Wir haben ihn gefangengenommen, weil wir ihn schlecht zurücklassen konnten. Er hätte uns sonst die nächste Streife auf den Hals gehetzt … Ich wußte, daß der Feldwebel ihn erschießen wollte. Er gehörte zu der Sorte Männer, die sich so ihres Ballasts entledigten.
Wir kämpften uns weiter vor, kamen aber kaum voran. Der Deutsche blieb immer wieder zurück. Er hatte ziemlich viel Blut verloren und wirkte insgesamt recht schwach. Ich schätze, daß er nicht einmal achtzehn gewesen ist …
Der Feldwebel fing an, ihn mit seinem Bajonett anzutreiben. Aber es half nichts, der Deutsche konnte nicht Schritt halten. Dann zeichnete sich am Horizont plötzlich eine Staubwolke ab. Wir mußten damit rechnen, daß eine deutsche Patrouille auf uns zukam. Deswegen kletterten wir in das ausgetrocknete Bett eines Wachs und schleiften den erschöpften Jungen mit. Dort hat mein Hauptmann seine Pistole gezogen und sie ihm an den Kopf gehalten. Er hat gedroht, ihn zu erschießen, sollte er auch nur einen Mucks von sich geben.«
Richard Watson schenkte sich etwas Wein nach. »Dazu wäre er allerdings gar nicht in der Lage gewesen. Seine Hand hat gezittert wie Espenlaub. Und er hatte Angst, das hat man ihm deutlich angemerkt. Ich habe derweil unseren Feldwebel nicht aus den Augen gelassen. Er fuchtelte nämlich immer noch mit dem Bajonett herum. ›Einen Schuß können wir uns nicht leisten‹, hat er gesagt. Und: ›Der Mann hält uns nur auf. Stecken Sie Ihre Pistole weg. Ich erledige das hiermit.‹«
Julia starrte Watson fassungslos an. »Sie meinen, er wollte den Deutschen erstechen?«
»O ja, ohne mit der Wimper zu zucken. Keiner der anderen hat den Mund aufgemacht. Er hatte sie irgendwie alle unter seiner Fuchtel. Tim Phillips wollte tatsächlich schon seine Pistole zurück in den Halfter schieben. Mir wurde klar, daß ich eingreifen mußte, bevor dem Jungen etwas zustieß.«
»Was haben Sie unternommen?« fragte Julia.
Er zuckte mit den Schultern. »Nichts, was mich als Helden auszeichnen könnte. Ich habe nur laut und deutlich verkündet, daß ich einen solchen Mord nicht decken würde. Und daß sie mich ebenfalls töten müßten, wenn sie hinterher von mir nicht angezeigt werden wollten.«
»Kaum zu glauben«, stieß David Peterson aus. »Das war wirklich tapfer.«
»Nein, war es nicht«, beharrte Richard Watson. »Aber immerhin hat es den Feldwebel von seinem Vorhaben abgebracht. Wir sind dann weitergezogen und haben den Deutschen zurückgelassen.« Er bot Julia mehr Wein an. Sie schüttelte ablehnend den Kopf.
»Hat er begriffen, worum es ging? Hat er verstanden, was Sie für ihn getan haben?«
»Oh, ich glaube schon. Er hat gezittert vor Angst. Bestimmt hat er mehr Englisch verstanden, als er sich anmerken ließ. Während der ganzen Zeit hat er nicht ein Wort von sich
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