Die Entlarvung
gegeben. Aber als wir weggegangen sind, hat er mich angesehen – mit einem ganz merkwürdigen Ausdruck in den Augen. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Unser Feldwebel ist an mich herangetreten und hat gesagt: ›Das war ein Fehler, Sir.‹« Watson imitierte den Sarkasmus, mit dem der Mann ihm begegnet war. »›Sie hätten mich den Hundesohn töten lassen sollen. Denken Sie an meine Worte, er wird uns bei der Patrouille verraten‹. Was er dann auch tatsächlich getan hat.« Watson seufzte. »Noch in derselben Stunde sind wir in Gefangenschaft geraten.«
»Was für eine außergewöhnliche Geschichte«, rief Bob Thomas.
Richard Watson blickte seine Gäste ernst an. »Leider ist sie noch nicht zu Ende. Phillips und ich sind auf einem Laster zurück zum deutschen Stützpunkt gebracht worden, wo es ein Kriegsgefangenenlager gab. Bevorzugte Behandlung für Offiziere, so handhabten die Deutschen das. Die anderen fünf wurden zu Fuß weggebracht. Sie sollten einer Gruppe weiterer Kriegsgefangener angeschlossen werden, die die Nachhut bildeten. Sie sind dann unter Beschuß geraten. Der Feldwebel ist der einzige gewesen, der überlebt hat, die anderen vier sind umgekommen. Ich habe davon erst nach dem Krieg erfahren. Phillips hatte nach seinen Männern geforscht und mich über ihr Schicksal unterrichtet.« Watson hielt einen Augenblick inne. Julia sah, wie sich seine Gesichtsmuskeln anspannten. »Er meinte, daß die Männer absichtlich niedergeschossen worden seien. Der Feldwebel hatte behauptet, daß ein Gefecht stattgefunden habe. Phillips hat aber nirgendwo einen offiziellen Beleg dafür finden können. Er war zum Schluß richtig besessen von seinem Verdacht. Wissen Sie, ich habe mich oft gefragt, ob die armen Teufel noch leben würden, wenn ich mich nicht eingemischt hätte.«
»Du mußt dich nicht schuldig fühlen«, ereiferte sich Bob Thomas. »Du hast dich hundertprozentig korrekt verhalten. So, wie man sich das von Offizieren öfter gewünscht hätte. Obwohl der Krieg da draußen doch recht fair verlaufen ist.«
»Wer könnte sie denn erschossen haben?« wollte Julia wissen. »Hätte der Feldwebel ein solches Verbrechen nicht gemeldet?« Julia mußte sich räuspern, so trocken fühlte sich ihr Hals mit einemmal an.
»Tja, gemeldet hat er nichts«, erwiderte Watson. »Es handelte sich ja auch nur um eine Vermutung. Phillips hat ihn ausfindig gemacht und mit ihm gesprochen, aber er ist bei seiner Geschichte geblieben … Du hast recht, Bob. Der Krieg in der Wüste war wirklich fair, Kriegsverbrechen hat es nicht gegeben … dank Rommel, muß man sagen. Er war ein Preuße der alten Schule. Ja, ja …« Er lächelte seine Gäste an. »Hoffentlich habe ich euch nicht zu sehr gelangweilt. Wie gesagt, ich werde alt. Zeit für den Kaffee. Janey, würdest du dich an meiner Stelle um Julia und Fiona kümmern, während wir Männer noch ein wenig hier sitzen bleiben? Wir kommen auch gleich nach, versprochen.«
Janey führte die Frauen in den Salon, der eine Etage höher lag. »Was für eine seltsame Geschichte«, sagte sie. »Grauenhaft. Richard hat sich richtig verhalten, finde ich. Er kann nichts dafür, daß die Männer später im Gefecht getötet worden sind.«
»Nein«, hauchte Fiona Thomas. »Aber er scheint sich trotzdem verantwortlich zu fühlen.«
Es war weit nach Mitternacht, als Julia endlich aufbrechen konnte. Sie brannte darauf, mit London zu telefonieren. Ben, dachte sie. O Ben, du wirst es nicht für möglich halten. Mein Gott. Ich kann es selbst kaum glauben … Während die Gäste in der Eingangshalle standen, um sich zu verabschieden, nahm Julia Watson unauffällig zur Seite. »Was ist aus Phillips geworden? Lebt er noch?«
»Nein, er ist 1981 gestorben. An Krebs. Seine Frau hat es mir geschrieben.«
»Und der Feldwebel? Ist er derjenige, der zusammen mit Ihnen auf dem Foto abgebildet ist?«
»Ja, das ist er. Wann immer sich die Leute über deutsche Kriegsverbrechen aufregen, muß ich an ihn denken. Er hätte den Jungen kaltblütig erstochen und seine Freude daran gehabt.«
»Lebt er denn noch?« fragte Julia, betont gleichmütig.
»Das weiß ich nicht.« Er war plötzlich sehr kurz angebunden. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich Fiona Thomas zu und küßte sie zum Abschied auf beide Wangen. Ein deutlicher Hinweis, daß er nicht gewillt war, sich weiter über das Thema auszulassen.
Als Julia an die Reihe kam, sich zu verabschieden, war er jedoch wieder ganz der charmante
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