Die Entlarvung
hatte ihren Job und damit ihre Machtstellung verloren. King dachte wahrscheinlich, daß er von ihr nichts mehr zu befürchten hätte. Deshalb würde er wahrscheinlich keinen zweiten nächtlichen Angreifer auf sie ansetzen. Sollten seine Pläne Erfolg haben, war dies auch gar nicht nötig. Ein Wort von ihm würde dann genügen, um ihre und Bens Karriere ein für allemal zu beenden. Sie hatte also nichts zu verlieren; King flößte ihr keine Angst ein. Sie war entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen – es ging schließlich um ihre Zukunft und nicht zuletzt auch um ihre Beziehung zu Ben. Inzwischen mußte er ihren Brief gelesen haben, in dem sie versucht hatte, alles zu erklären. Sie saß in einem Café und trank einen heißen Tee, um sich aufzuwärmen.
Sie konnte kaum auf Bens Verständnis hoffen, soviel war klar. Er würde ihr Verhalten als Betrug auffassen, würde wütend und enttäuscht sein. Er war ein verschlossener, von Selbstzweifeln geplagter Mann, der seinen Ärger in sich hineinfraß. Vielleicht würde er ihr nicht verzeihen, egal wie die Sache ausging. Davor hatte sie Angst, nicht vor der Konfrontation mit King.
Sie blieb noch eine Weile in dem Café sitzen. Draußen gingen die Lichter an. Bald würde das vibrierende Nachtleben beginnen, würde sich die ganze mondäne Gesellschaft zum Après-Ski versammeln.
Dann kehrte sie zu ihrer Pension zurück, um dort ihr Abendbrot einzunehmen. Das Essen war sehr fett und lag ihr schwer im Magen. Die Atmosphäre, die in dem Haus herrschte, bedrückte sie. Sie hatte Leo im Hotel angerufen und eine Nachricht für ihn hinterlassen. Er wußte also, wo er sie erreichen konnte. Sie blieb bis Mitternacht auf und wartete, aber er meldete sich nicht.
Der Anruf kam am nächsten Morgen, als sie gerade beim Frühstück saß. Gefolgt von den neugierigen Blicken der übrigen Gäste eilte sie aus dem Speisezimmer zum Telefon.
»Ich habe Ihre Nachricht erhalten«, sagte Leo mit seiner nasalen Stimme. Am Telefon klang er wenig vornehm, egal wieviel Mühe er sich gab. »Ich werde versuchen, für morgen eine Verabredung zu arrangieren. Heute mittag bin ich bei der ganzen Familie zum Essen eingeladen.«
»Glauben Sie, daß King mitspielt?«
Er kicherte. »Aber natürlich. Wenn sein kleines Töchterlein ihn darum bittet. Gloria macht alles, was ich ihr sage. Ich kann sie regelrecht um den Finger wickeln …«
»Wann geben Sie mir Bescheid?« wollte Julia noch wissen.
»Lassen Sie mir bis heute abend Zeit«, bat er. »Ich muß Gloria erst noch präparieren, damit sie ihrem Daddy gründlich zusetzt. Ich bin ziemlich sicher, daß er ja sagen wird. Und dann werden wir sehen, wieviel Ihre Theorie wert ist.« Er senkte die Stimme. »Was machen wir, wenn er gewalttätig wird?«
»Sie werden sich schon zu verteidigen wissen«, entgegnete Julia kühl. »Immerhin sind Sie hier der Mann. Also, Sie melden sich?«
»Ja, heute abend. Ich komme bei Ihnen vorbei. Die Kings wollen ausgehen – ohne mich.«
»In Ordnung«, stimmte Julia zu. »Ich erwarte Sie.«
Sie legte den Hörer auf. Leo Derwent war ihr äußerst unsympathisch, dennoch vertraute sie ihm. Nicht weil sie an seine Loyalität oder seine Dankbarkeit ihr gegenüber glaubte, sondern weil sie wußte, wie rachsüchtig er war. Wie immer sie auch über ihn denken mochte – er war ihr einziger Verbündeter.
Marilyn King hatte ihre Tochter an diesem Vormittag nicht auf die Piste begleitet, sondern einen Schönheitssalon aufgesucht, um sich von Kopf bis Fuß durchstylen zu lassen. Gegen Mittag kehrte sie in bester Laune zur Villa zurück. Sie war äußerst zufrieden mit dem Ergebnis der Behandlung. Sie sah aus wie achtunddreißig … oder wie gerade vierzig, aber auf keinen Fall älter. Sie beschloß, nett zu ihrem Mann zu sein. Er hatte ihr vor der Reise ein dreiteiliges Kofferset aus Krokodilleder und hauchfeine Seidenwäsche von Janet Reger geschenkt. Er saß – wie gewöhnlich – an seinem Schreibtisch und arbeitete. Als sie sich über ihn beugte und ihm einen Kuß gab, sah er kurz von seinen Unterlagen auf.
»Du riechst wunderbar«, bemerkte er.
»Sollte ich auch«, kicherte sie. »Das Parfüm war sündhaft teuer. Ich habe heute morgen ein kleines Vermögen ausgegeben. Sieht es denn wenigstens gut aus?« Sie trat einen Schritt zurück, legte eine Hand auf ihre schmale Hüfte und stellte sich für ihn in Pose. Er nickte. Sie war schön. Überall, wo sie hinkam, drehten sich die Leute nach ihr um. Nur leider übte
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